Yayoflautas: Rentner kämpfen für ihre Enkel

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„Wir sind Arbeiter, keine Sklaven“, steht auf dem Schild, das diejenigen tragen, die ihre Arbeitszeit längst hinter sich haben. Die Rentner Spaniens haben die Nase voll. Sie wollen sich engagieren, nicht zulassen, dass die Welt ihrer Kinder und Enkel ohne Zukunft stattfindet: „Wir dürfen nicht gestatten, dass man unseren Nachkommen jede Hoffnung nimmt“, sagt einer von ihnen, 74 Jahre alt, mit entschlossenem Gesicht. Seine Protestgruppe, die Yayoflautas, macht das seit einer Weile mit sehr originellen Aktionen deutlich.

Vor ein paar Wochen hatten sie als erstes eine Bankfiliale besetzt. 30 Rentner, keiner jünger als 65 Jahre, „stürmten“ die Bank und freuten sich diebisch, dass „keiner den Mut hatte, uns rauszuwerfen, weil wir so alt sind“. Danach folgte eine ähnliche Aktion in der Filiale der Rating Agentur Fitch in Barcelona. Erst vor wenigen Tagen entführten sie einen Stadtbus – mit freundlichem Einverständnis des Fahrers – und verteilten an jeder Haltestelle Flugzettel an die Passanten: „Wir müssen endlich aufhören, über die Finanzkrise zu reden, und anfangen über die ethisch-moralische Krise zu sprechen!“ Heute nun schlossen sie sich den landesweiten Protesten gegen die knallharte Arbeitsmarktreform der Regierung Rajoy an.

„Demokratie ja, Märkte nein“ – die Yayoflautas besetzten die Filiale von Fitch in Barcelona.

Die grauen Panther Spaniens wollen nichts für sich. Um die Zukunft ihrer Enkel geht es ihnen. Um die Zukunft aller Menschen, versichern sie. „Uns geht s gut, wir haben unser Leben fast hinter uns. Wir tun das für die Kinder und Enkel. Wenn alle Details der nächsten Aktion besprochen sind, rufen wir unsere Gruppe zusammen und schlagen sofort los, am selben Tag – so hat die Polizei keine Chance, vor uns dazu sein.“

Es ändert sich deutlich etwas in Spanien. Bisher hatten die Rentner nur für ihre eigenen Interessen gekämpft. Jetzt stellen sie sich in den Dienst einer gerechteren Gesellschaft für ihre Nachkommen. Noch sind es nicht viele, doch die Tendenz ist deutlich. Die „Indignados“ (15-M), die Aktion „Yo no pago“ und jetzt der medienwirksame Protest der Yayoflautas – wachsendes soziales Engagement und Bürgerbeteiligung steigen spürbar.

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Kurzerhand wurde der Stadtbus entführt. Der Fahrer hatte sogar Verständnis für das Anliegen.

Die Alten haben einen Vorteil. Sie sind im Franco-Regime aufgewachsen und kennen die Methoden subtilen aber effizienten Protestes aus ihrer eigenen Vergangenheit nur zu gut. Zusammen haben sie Jahrhunderte Erfahrung in der Organisation von Streiks und mit illegalen Gewerkschaften. Schon vor Jahrzehnten hielten sie illegale Sitzungen in Kirchen ab: „Unser nächstes Ziel ist das Parlament! Soll bloss keiner den Termin in Facebook setzen, dann haben wir am Ende die Polizei auf dem Hals!“

In den Jahren des Wohlstands innerhalb der Demokratie hatte sich die politische Aktivität der Alten seit 1975 immer mehr den Parteien angenähert. Die Ziele wurden abstrakter, verlagerten sich etwas weiter weg: Die Rechte der Saharauis, der Klimawandel, die Schulden der sogenannten Dritten Welt. Alles wurde irgendwie weicher, intellektueller. Das Leben meinte es gut mit den Yayoflautas. Sie vertauschten den Blaumann mit dem weissen Kragen, rutschten in die grosse Mittelschicht. Ihren Eltern war es schlecht gegangen, die wussten tatsächlich, was Hunger ist.

Freundlich, fröhlich und lebensfroh sind sie, die Yayoflautas, aber zu allem entschlossen.

Die Rente kam und mit ihr das Kartenspiel im Stadtpark im Sonnenschein mit dem Cortado auf dem Tisch. Doch die Wirtschaftskrise unterbrach das Idyll jäh. Die Yayoflautas mussten plötzlich befürchten, dass das Leben ihrer Enkel wesentlich trauriger sein würde als ihr eigenes. So trafen sie sich auf der Plaza Catalunya in Barcelona bei den Demonstrationen, mit den Enkeln an der Hand, und lernten sich so kennen: „Hey, ich kenn dich doch oder?“ – „Na klar, vom Steckbrief, ich war damals zur Festnahme ausgeschrieben.“

Ihre Kinder unterstützen die Alten im Protest. Und die Yayoflautas gehen jetzt oft zu einer Protestaktion statt ins Kino oder in die Oper: „Das ist unsere Zeit, es ist unser Moment – wir haben verdammt viel zu sagen!“

* Lesen Sie dazu auch:
Protest weitet sich aus – Anleitung zu zivilem Ungehorsam
Yo no pago – jetzt wird die Börse gestürmt
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21 Kommentare zu “Yayoflautas: Rentner kämpfen für ihre Enkel

  1. donfurioso sagt:

    Mutig und klug, diese Rentner! Dass sie erkannt haben, dass Facebook kein sicheres Medium ist, um Widerstand zu organisieren, bewundere ich . Ich bewundere auch die Solidarität zwischen den Generationen. Die Kultur, das Miteinander wird darüber entscheiden, wie wir die Krise überstehen und was für eine Welt wir unseren Kindern hinterlassen. Danke für den Artikel, Uhupardo!

    • uhupardo sagt:

      Sehr gerne, donfurioso. Die Yayoflautas waren auch heute wieder eins der Medien-Highlights, als Zehntausende in ganz Spanien auf die Strasse gingen. Die Rentner haben es begriffen und engagieren sich ohne ureigenes Interesse. Wann engagieren sich diejenigen aktiv auf der Strasse, die das Leben noch vor sich haben?

  2. Klasse! Das ist gelebte Solidarität!

    Wenn die Yayoflautas „Opaflöten“ ist ja auch ’n hübscher Name… 🙂 auf der Straße sind, uhupardo, können sich die Jungen doch nicht mehr lumpen lassen, oder?

    Ich finde auch interessant, dass sie sofort erkannt haben, dass facebook (und andere social networks) nicht der richtige Ort ist, sich zu verabreden… Sie sind gut geschult!

    • uhupardo sagt:

      Das hätte man noch erklären können, aber ich mag zu lange Artikel nicht (weil ich die Lesegewohnheiten zu gut kenne). Reicht ja auch im Kommentar: Eine Ministerin hatte die Bewegung 15-M (Indignados) als „perroflautas“ (Hundeflöte) bezeichnet. Sie wollte damit eine Art Hippie beschreiben, der nicht besonders hygienisch lebt, also „diese schmierigen Typen“ in etwa.

      Die Opas und Omas haben das gleich persifliert und sich selbst von Anfang an als „Yayoflautas“ bezeichnet. Genial, denn sie sehen sich als Teil der 15-M-Bewegung und solidarisierten sich so auch offiziell damit!

  3. WsdV-Blog sagt:

    Klasse Artikel von dir, danke! Nicht zu kurz, nicht zu lang. 😉 Obwohl ich auch lange Artikel lese.

    Das sich dir Rentner einschalten ist klasse und vor allem, wie sie es machen. Respekt!

    In der BRD gab es ein Solidaritätskundgebung „wir sind alle griechen“ in Berlin. Danach bekamen die Menschen erst mal Geleitschutz und wurden am Ende ohne rechtliche Grundlage vor Ort festgehalten.

    polizeiwillkür nach der solidaritätskundgebung „wir sind alle griechen“ in berlin am 18.2.12

    Nun ja, die BRD ist ja ganz speziell in Bezug auf das Wort „Rechtsstaat“.

    Ich würde mich freuen, wenn wir für uns alle einstehen würden, das ist unsere einzige Chance.

  4. […] Lesen Sie dazu auch: * Yayoflautas – Rentner kämpfen für Ihre Enkel * Back to Franco: Passiver Widerstand und Aufruf zu Demonstrationen werden strafbar Bewerten: […]

  5. almabu sagt:

    Das ist eine tolle, generationenübergreifende, menschliche – eben spanische – Form des Protestes! Mit Ausnahme der Anarchos in Barcelona (die der katalanische Innenminister für verkappte Italiener hält;-)) erfreulich gewaltfrei, noch…

    • uhupardo sagt:

      „Gewaltfrei“ ist schön – aber definitionspflichtig! Ist die politisch gedeckte Kasino-Zockerei, die Millionen Menschen weltweit ins Elend stürzt, „gewaltfrei“?

      • almabu sagt:

        Natürlich nicht! So gesehen übt jede Regierung, ja sogar jede Organisation (legalisierte) Gewalt gegen ihre Mitglieder aus.

        Natürlich wird dann immer so getan, als sei die Reaktion der Basis die eigentliche Gewalt. Dafür haben die Regierenden dann Paragraphen und eine Justiz, um diese Basis dann „legal“ einzubuchten…

        Die Aktion „Yo no pago!“ ist im Prinzip auch Gewalt, aber intelligente und sanfte Gewalt, „ohne Schläge in die Fresse“!

        • uhupardo sagt:

          Por eso! Es ist immer einfach, diejenigen zu kriminalisieren, die ein paar Steine ins Schaufenster werfen und einen Müllcontainer anzünden – während die anderen, die mit ihrem weissen Kragen Millionen ins Elend stürzen, nicht einmal vor einem Richter enden. „Gewaltfrei“ ist sehr, sehr definitionspflichtig.

          • almabu sagt:

            Dem Steinewerfer oder Müllcontaineranzünder wird vor Gericht gesagt, „Du hast gegen unsere Regeln verstossen!“
            Das müssten die betrogenen Menschen aller Nationen und Kontinente denen da oben auch sagen: „Ihr habt gegen unsere Regeln verstossen!“ Dann wäre das Problem zu regeln, denn WIR sind mehr, als DIE, deren ganze Macht davon abhängt, dass wir sie akzeptieren…

      • Das Problem dabei ist nur, dass die Herrn in den weißen Kragen, die geballte Staatsgewalt hinter sich haben und kommandieren.
        Schau nach Afghanistan, Irak und die Polizeigewalt bei den Demonstrationen gegen diesen frechen Sozial-Abbau zu Gunsten derer, die schon (fast) alles haben und Du weißt, was ich meine.
        Diese Herrschaften, werden ihre Macht nicht agbeben, weil ein paar Demonstranten auf den Straßen sagen: Ihr habt Euch nicht an die Abmachungen gehalten….
        Das halte ich für illusorisch.

        • uhupardo sagt:

          Es ist wohl auch illusorisch. Deswegen werden diejenigen, die sich immer mit durchaus guten Absichten empört für „gewaltfrei“ einsetzen, wenn wieder einmal ein Müllcontainer brennt, zwangsläufig umdenken müssen.

  6. […] Aktionen der streitbaren Yayoflautas fanden auch in Mataró, Sabadell und Castellón statt.  Die Rentner bekundet bei diesen […]

  7. […] Wir Alten treffen uns, um ein Gläschen zu trinken. Nicht etwa das primitive Proletariat, wie Frau Aguirre glaubt, sondern kulturbeflissene Menschen, viele davon mit Universitätsabschluss, Leute mit sozialer, ethischer und beruflicherAusbildung. Kritische Menschen. Frau Aguirre verpasste uns den Namen: Yayoflautas. […]

  8. […] für zivilen Ungehorsam in Europa * “Ich zahle nicht”: Tumulte und Festnahmen in der U-Bahn * Yayoflautas: Rentner kämpfen für ihre Enkel * Ab jetzt gibt es keine Ruhe mehr * “Wir sind die Polizei des Volkes, nicht der Politiker” […]

  9. […] wollten, die am Ende vor ihnen flüchteten. Zwei von ihnen mussten ärztlich behandelt werden. Die Yayoflautas sind gemeint: die protestierende Rentner-Band Spaniens hatte versucht, ins Gebäude der Generalitat […]

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