Spanien wird die zugesagte Defizit-Obergrenze von 4,4 Prozent in diesem Jahr nicht erfüllen! Regierungschef Mariano Rajoy kündigte statt dessen heute 5,8 Prozent an und erklärt das trotzig zu einer „hoheitlichen Entscheidung Spaniens“ – Satzende. Rajoy baut darauf, dass Spanien in diesem Jahr nicht das einzige Land sein wird, das seine Defizit-Obergrenze verfehlt. Seine Erwartung, dass „die Märkte diese Entscheidung nicht bestrafen werden“, klingt allerdings wie Pfeifen im tiefen dunklen Wald.
Das wird als einer der historischen Tage des Jahres in die Geschichte eingehen: Spanien sucht bewusst die Konfrontation mit der EU, wie das Land es in den vergangenen 25 Jahren noch nie getan hat. Rajoy, der beim Austeritätsgipel zwei Tage lang leise und unauffällig agiert hatte, kündigte heute vor der Presse das an, was er seinen 26 Kollegen direkt nicht hatte sagen wollen: Das Defizit 2012 wird 5,8 Prozent betragen und so den Brüsseler-Pakt deutlich brechen.
Während alle Experten erwarten, dass Spanien für diese Entscheidung teuer bezahlen wird, weil das Land für seine Staatsanleihen jetzt sicher deutlich höhere Zinsen zahlen muss, bleibt der konservative Regierungschef nach aussen hin gelassen. Er erwarte nicht, dass die Märkte das erhöhte Defizit bestrafen würden, äusserte Rajoy wohl eher eine Hoffnung als seine innere Überzeugung.
Der Madrider Regierungschef zockt bewusst. Er weiss genau, dass er sein Land sogar auspressen muss wie eine Zitrone, um auch nur diese jetzt angekündigten 5,8 Prozent erreichen zu können. Er wird sich in diesem Jahr mit heftigen Protesten der eigenen Bevölkerung auseiandersetzen müssen – und jetzt auch mit den Entscheidungsträgern innerhalb der EU. Letztere allerdings äusserten heute „off the record“ minimales Verständnis für diesen klaren Bruch des Brüsseler Paktes: „Es kann sein, dass man Spanien so etwas wie einen Fiskalkorridor für dieses Jahr zugestehen muss, wenn das Land 2013 das angepeilte Defizit von 3% kompromisslos einhält“, hiess es auf den Fluren.
Mariano Rajoy hofft inständig, dass er nicht der einzige ist, der seine Defizit-Obergrenze verfehlt. Belgien, Holland und sogar Frankreich sind in der Gefahr, am Ende des Jahres als Paktbrecher dazustehen. Madrid wird 44 Milliarden Euro einsparen müssen, um die 5,8 Prozent zu erreichen, wovon erst 15 Milliarden bewältigt sind. Nur Griechenland und Portugal haben bisher ähnlich brutale Sparprogramme aufgelegt. Beide Länder sind danach in der wirtschaftlichen Depression versunken, ohne jede Aussicht auf Besserung.
Die Madrider Regierung hat also den Spagat gewagt zwischen dem möglichen wirtschaftlichen Selbstmord des Landes und dem absolut sicheren Freitod – denn genau das bedeutet die Schere zwischen 4,4 und 5,8 Prozent. Jetzt muss sich zeigen, ob die EU-Kommission die Entscheidung Spanien letztendlich schluckt oder den Iberern eine Sanktion aufbrummt, die bei 0,2% des Bruttoinlandsprodukts, als bei etwa zwei Milliarden Euro, liegen würde.
Jedenfalls ist man in Brüssel erst einmal deutlich angefressen. Rajoy habe weder das Defizit des vergangenen Jahres von 8,5 Prozent noch seine kalkulatorische Basis für die 5,8% des laufenden Jahres erklärt, lautet die Beschwerde. Was man ihm aber wirklich übel nimmt, ist die Tatsache, dass der spanische Regierungschef in den Sitzungsälen den Mund nicht aufbekommen hatte, schweigend alle Beschlüsse unterschrieben hatte – nur um danach seine selbstherrliche Entscheidung ausgerechnet vor der Presse zu verkünden.
Mariano Rajoy hat Stress an allen Fronten. Da fragt man sich: Wer tut sich so etwas freiwillig an und wenn, warum? Es war doch vor den Wahlen klar, was folgen musste. Darauf gibt es zwei mögliche Antworten: Entweder purer Masochismus – oder eben doch die Erkenntnis, dass sich nur richtig die Taschen füllen kann, wer in die politischen Entscheidungs-Träger Positionen rutscht. Fast egal uter welchen Bedingungen, wie sich gerade zeigt. Die Korruptionsskandale der PP in den vergangenen Jahren sprechen eine deutliche Sprache …
Wie Rajoy jetzt „Stärke“ zelebriert, das hat gewiss mit den Wahlen in Andalusien zu tun! Generell finde ich es aber gut, wenn sich EU-Staaten finden, die sich gegen den verordneten asozialen Neocon-Sparzwang zur Wehr setzen.
Merkel verfolgt hier klar den falschen Ansatz. Sie agiert wie eine Sprecherin des Bankenverbandes. Formal ist Rajoys Verhalten aber verheerend, weil es die Glaubwürdigkeit Spaniens auf internationaler Ebene und das Vertrauen ganz allgemein in europäische Absprachen unterminiert. Er hätte in Brüssel offen die Karten auf den Tisch legen sollen. So bleiben Zweifel!
Sicher wird man aber auch Spaniens Zahlen genauer betrachten müssen, sowohl was die der PSOE bis 2011, als auch die der PP ab 2012 betrifft. Hier gibt es eine innenpolitisch motivierte „Kreativität“ der Statistik, die zu klären sein wird.
Spanien ist als Volkswirtschaft schlicht zu groß, als dass Merkozy und Brüssel so mit ihm umspringen können, wie sie es bedauerlicherweise mit Griechenland tun. Darin läge eine Chance für Rajoy mit seiner Verweigerung durchzukommen, falls er es denn wirklich ernst meint mit seiner Ankündigung…
Alle Spanier sollten sich bei 23 Prozent Arbeitslosigkeit und 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit diesem EU-Unsinn glatt verweigern!
Ihr Bedauern für Griechenland wundert mich,die nicht haltbaren Umstände im Land kann man doch ernstlich nicht erhalten wollen.Sicher,arrogant darf und soll nicht als europäischer Partner aufgetreten werden,eine Problemanalyse sollte jedoch gemeinsam möglich sein und Wege diese zu beenden und Abhilfe zu schaffen ein gemeinsames Ziel.Ähnliches gilt für andere „Problemstaaten“.Die Staaten und Menschen können nicht machen was sie wollen(oftmals wieder des Rechtsstaates und auch dem Rechtsverstandnis einer hoffentlich noch diesem Empfinden innehabenden Mehrheit .Es bringt schlichtweg das zusammenleben der Menschen in Gefahr,eine Gesellschaft mit gemeinsamen(vernünftigen und ehrenwerten Zielen) ist so nicht mehr erreichbar und haltbar.Diese Fehlentwicklungen gingen zu lange und sind den Menschen wohl in Fleisch und Blut übergegangen.Dies geht so nun richtigerweise nicht mehr auch aus Abhängigkeit von den Finanzmärkten.Dies kann man verurteilen und Wege heraus aus der Abhängigkeit sind vieleicht möglich,dies anzustreben um die Verhältnisse zu belassen wie sie sind ist jedoch ebenso falsch.So wären eben irgendwann die Steuerzahler direkt an der Reihe die die Fehlentwicklung zu tragen hätten.Der Wiederstand wäre eines Tages der gleiche.Es hilft nichts,Veränderungen müssen her auch wenn sie richtig wehtun.Auf gleichmäßige Verteilung und Augenmaß und Begleitung während dieser Prozesse ist zu achten.So kann sich das System,welches ja auch wir sind erneuern.
Eine Fehlentwicklung von einem Jahrzehnt kann nicht mit Brachialgewalt in ein, zwei Jahren korrigiert werden, speziell nicht auf dem Rücken, nicht zu Lasten, der kleinen Leute, die die Fehlentwicklung nicht zu verantworten haben. Objektiv betrachtet ist es eine Idiotie, in Zeiten einer Rezession, Arbeitsplätze zu vernichten und Zwangssparen als Rezept zu propagieren. Selbst ohne jegliche Empathie für die Griechen müsste ein halbwegs objektiver Betrachter diesen Irrtum erkennen können. Vermutlich soll Griechenland also auf diesem Weg bewusst entmündigt werden. Jetzt nur noch die Wahlen absagen, gell?
Es ist ja nicht nur das. Welches Land hat als erstes die Defizitregel gebrochen? Richtig! Deutschland.
Welche Sanktionen gab es daraufhin? Richtig! Keine.
Abgesehen davon bin ich die Spielereien wirklich leid. „Problemstaaten“ sind Deutschland und Frankreich ebenso wie Spanien, denn ihre Schuldenquote ist genau so hoch oder höher. Hierhat wirklich niemand Veranlassung, sich gemütlich auf seinem hohen Ross einzurichten.
„Veränderungen, die richtig weh tun“ müssen her, Andy, das ist vollkommen richtig. Allerdings auf komplett anderem Terrain als Sie das gerade einklagen.
Wenn Staaten an der Börse gehandelt werden wie Tomaten, stimmt dieses System von vorne und hinten nicht!
Ein Staat ist kein Wirtschaftsunternehmen und kann keinen „Profit“ erwirtschaften. Schon gar nicht, wenn er mit Krediten zugedröhnt ist und die Wirtschaft lahm liegt, weil das Land bereits ausgesaugt und seiner (Wirtschafts-)Kraft beraubt ist, die Menschen kein Geld zum kaufen haben, damit die Binnennachfrage gegen Null tendiert (das ist weltweit so, also tendiert auch der Export – bis auf den Waffenhandel – gegen Null) und die einzigen, die unvorstellbar hohe Profite machen, sind die Banken, Waffenhändler, Kriegstreiber und Welt-in-Brand-Setzer (worauf natürlich auch gezockt wird!), die Banken auf den Untergang, die Pleite der Staaten zocken, um sich bei Untergang und während des Untergangs an dessen wirklichen und tatsächlich vorhandenen Schätzen schamlos noch mal und nun erst richtig zu bereichern, das Land vollends auszurauben und die sich dann hinterher hinstellen und „Aufbauhilfe“ leisten, um dem Land wieder Kredite überzuhelfen und wieder Profite zu generieren und dem Land bestimmen zu können (man nennt das auch erpressen!), was sie zu tun und zu lassen haben!
Es ist bald nicht mehr auszuhalten, wie die auf dem Rücken der Menschen und diametral entgegen deren Interessen die Länder und Menschen systematisch ausgeraubt werden und zuzuschauen wie die Welt von diesen Finanzfaschisten völlig auf den Kopf gestellt wird! Es ist geradezu ekelerregend.
@alambu:
Merkel verfolgt hier klar den falschen Ansatz. Sie agiert wie eine Sprecherin des Bankenverbandes.
Nein, es ist nicht der falsche Ansatz, denn genau das ist sie! Sprecherin des Bankenverbandes! Nichts weiter!
Diesem offenen Banken-Faschismus sollten sich alle Staaten glatt verweigern! Dann haben die Bankenfaschisten nämlich ausgespielt!
JA,ja noch ein Griechenland.Und aus den verschiedensten Gründen wird es wohl allein dabei bleiben.Schön, wer nur „Beobachter“der Situation ist,aber auch ein Kraftakt.Erfordert es doch ein oft völlig gegensätzliches Verhalten des eigenen Tuns und eine stete Beobachtung des Mitbürgers und auch des Staates.Abzuschätzen wie sich Dinge entwickeln(können) unter Menschen und die oft in Kauf genommenen Nachteile eines Verhaltens und Handeln auf lange Sicht(die oftmals scheinbar nicht als Sicht existiert)ist Mahnung und Aufforderung zugleich,es überlegt anders zu machen.Das Verhalten „der Menschen zu verstehen“und ihre Denke bleibt unerlässlich.Dies kann schützen in solch einer Zeit.
Rajoy tut gut daran, nicht den „griechischen“ Weg zu gehen. Er kann das Volk nicht tot sparen. Zumal sich da einige Türen gerade schließen: Die aktuelle Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit behandelt nach meiner Lesart Neuzuzüge aus der EU die auf Arbeitssuche sind. Sie haben demnach ab 1.4.2012 keinerlei Ansprüche auf Unterstützung in Deutschland.
http://www.arbeitsagentur.de/nn_166486/zentraler-Content/HEGA-Internet/A07-Geldleistung/Dokument/GA-SGB-2-NR-08-2012-02-23.html
Übrigens: Wo ist Krise?
In den deutschen Qualitätsmedien ist Griechenland, Italien und Spanien usw. komplett abgeschaltet. Kein Wort oder Bild aus diesen Ländern, und das schon seit mehreren Wochen.
Wulff, Gauck und Putin, das sind Nachrichten, aber Streiks und Proteste? Wo bitte schön?
Die Medien machen einen inzwischen sehr gleichgeschalteten Eindruck. In Murksels Jugend hieß die Sendung wohl „Aktuelle Kamera“ und wurde vom Politbüro formatiert. Aber das zu lenken dürfte ja wohl für Angie als ehemalige FDJ Sekretärin für Agitation und Propaganda in der DDR eine der leichtesten Übungen sein.
PS.: Die griechischen einjährigen Anleihen haben inzwischen die 1000%-Marke überschritten. Akropois adieu! Armes Volk, verdammte Politik !
Ich kann nicht mehr so viel essen, wie ich k*tzen muss…. Das ist ungeheuerlich. Das ist purer Rassismus. Und es ist ohne das Wissen der Menschen dieses Landes beschlossen worden – egal welcher Nationalität. Das ist ein Verbrechen!
Muchas gracias insbesondere für den Link, Hannes B.! Das ist eine wichtige Sache und der Beweis dafür, dass sich die europäische Gemeinschaft immer mehr in eine Ungemeinschaft verwandelt. Diese Massnahme wird jetzt (natürlich) von anderen EU-Staaten in gleicher Weise nachvollzogen werden. Die Wände werden hochgezogen, „das Eigene“ geschützt und alles geblockt, was von aussen kommt. Konträr natürlich zur europäischen Idee, die sich inzwischen darauf beschränkt, gemeinsam europäische Banken zu retten.
Nachtrag: Ich habe mir mal die Mühe gemacht, aktuell über Mittag die Nachrichten auf den verschiedenen Sendern zusammenzufassen: Ein verwirrter Rentner erschießt zwei Ärzte; neue Highlights auf der Cebit in Hannover, noch tollere neue Autos auf dem Genfer Autosalon; in Tunesien ist alles ruhig, man freut sich auf die Urlaubsgäste aus Deutschland, Werbetour für Apfelwein in Hessen, Vorwahlkampf in USA, ach ja, und dann war da noch das putzige Eisbärbaby in Dänemark. Und das Wetter wird auch gut. Also: von welcher Krise redet ihr?
Da hast Du begründet, warum ich weder TV noch Radio mein Eigen nenne… Ich ziehe mir diesen Blödsinn nicht mehr rein. Da ist mir meine Zeit zu schade – und meine Nerven auch 🙂
Sorry, gerade gefunden, noch mal ergänzend zu meinen ersten Kommentar „Neuzuzüge aus der EU“:
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeitnehmerfreizuegigkeit-willkommen-in-deutschland-willkommen-in-hartz-iv/6285774.html
So etwas kontraproduktives (oder ist das Absicht!?).
Anstatt die Zustände in den Ländern so zu ändern, dass die Menschen gar keine Lust haben auszuwandern, wird hier Sozialangst, Neid und Hass geschürt…. Naja, da kann man dann die Menschen besser aufeinander hetzen und von den eigentlichen Problemen ablenken, ne?
Ich nehme immer wieder gerne das Video „Fabian, gib mir die Welt plus 5%“ zu Hilfe wenn ich im Bekanntenkreis auf Diskussionen zum Geldsystem stoße. War bisher immer sehr hilfreich. Zur Zeit dürften wir übrigens bei Minute 27:45 angelangt sein 🙂
Falls es jemand noch nicht kennen sollte, die Zeit ist, finde ich, gut investiert. Und zum weiterreichen sowieso. Deshalb hier noch mal der Link:
http://video.google.com/videoplay?docid=-2537804408218048195
Eines der besten Videos überhaupt, habe ich auch schon oft empfohlen. Unbedingt anschauen!
[…] soll das “unvermeidliche Ziel” erreicht werden, das Defizit von 8,51% in 2011 auf die von Brüssel geforderten 5,3% bis zum Jahresende zurückzufahren. Steichungen und Steuererhöhungen in praktisch allen Bereichen und zusätzliche […]