Bildung – tot; Kultur – tot; Wissenschaft – tot; Überschrift: Spanien!

 

Das Defizit des Staatshauhalts wird dieses Jahr auf knapp 80 Prozent steigen, verkündete Wirtschaftsminister Luis de Guindos heute, als die Madrider Regierung die Einzelheiten des Budgets für 2012 bekanntgab. Alles für Brüssel und „die Märkte“ also, alles gegen eine Intervention der Troika, Rajoys Schreckgespenst. Die Überschrift bietet nicht genug Raum, um alle Bereiche aufzulisten, die heute für tot erklärt wurden. Sollte die konservative Regierung die Legislaturperiode überleben, wird Spanien nicht nur zur Kulturwüste. Im Prinzip schade, dass all das nicht in Deutschland passiert! In iberischen Breiten kann man den leidgeprüften Menschen selbst durch solche Massnahmen nicht die Lebensfreude nehmen. Zwischen Kiel und Garmisch-Partenkirchen wäre es wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, den Leuten bezüglich der Realität endlich die Augen zu öffnen.

Es wäre zu viel Zahlen-Salat, den Staatshaushalt hier auch nur halbwegs vollständig zu besprechen. Wer sich wirklich für Rotstift-Details interessiert, findet hier das gesamte Material: Klick. Beschränken wir uns also auf einen groben Überblick über den Schrecken für die Bevölkerung.

Eingespart werden insgesamt 27,3 Milliarden Euro. Das ist ein ungeheurer Betrag – und immer noch etwas weniger als Spanien 2012 für Schuldenbedienung aufbringen muss (28,876 Milliarden). Die Streichliste beinhaltet fast alle Bereiche, auch wenn es drei nennenswerte Ausnahmen gibt: Innere Sicherheit und Justiz müssen kaum Kürzungen hinnehmen – Rajoy weiss, was ihm ins Haus steht – und das Konzept Sport aus der Kategorie „panem et circensis“ erhält sogar 13,6 Prozent mehr Mittel als im vergangenen Haushalt.

Dagegen werden andere Bereiche praktisch temporär abgeschafft. Man kann das nicht als „Kürzungen“ bezeichnen, weil die einzelnen Posten nicht nur keine neuen Projekte zulassen sondern auch nicht mehr halbwegs dazu geeignet sind, die bisherige Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Das gilt für Stipendien (-166 Mio. Euro) ebenso wie für den Erziehungs- und Bildungshaushalt: -623 Mio., also -21,9 Prozent. Vergangene Woche hatte die Rajoy-Regierung noch versichert, die Stipendien würden nicht angetastet. Wissenschaft und Forschung haben sich auch erledigt, um „die Märkte zu beruhigen“: -627 Mio. oder -34 Prozent.

Im Kampf gegen häusliche Gewalt gibt es 21,6% weniger Geld, für die spanischen Filmemacher fällt mehr als jeder dritte Euro weg. Das Ministerium für Agrar, Lebensmittel und Umwelt – eine an sich schon etwas kuriose Konstellation – kann auch ein Drittel seines Etats abschreiben. Apropos kurios: Wenn man bei knapp fünf Millionen Arbeitslosen im Haushalt für Arbeitsförderungsmassnahmen satte 1,5 Milliarden streicht, bedarf das vermutlich näherer Erklärung oder folgt einer schwer nachvollziehbaren Logik.

„Das ist ein harter aber solidarischer Haushalt um das Vertrauen in Europa wieder zu erlangen und die Weichen für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu stellen“, lautete heute die Logik der konservativen Regierung. Ob mit „solidarisch“ gemeint war, dass die PP-regierten Regionen in Spanien (z.B. Galizien) keine oder sichtbar weniger Kürzungen hinnehmen müssen als diejenigen Länder, die vom politischen Gegner beherrscht werden (z.B. Andalusien), entzieht sich unserer Kenntnis.

Mindestens zwei neue Kriege haben sich heute für Rajoy eröffnet. Seine Regierung (wir sind niemandes Geissel!“) ignorierte alle Versprechen an Katalonien und kürzte die Investitionen für Barcelona um 44,9 Prozent. Das war die Höchststrafe, denn alle anderen Regionen blieben darunter: Navarra (-40,6%), La Rioja (-37,8%), Andalusien (37,7%). Heute blieb der Protest der Katalanen noch relativ zahnlos, doch das dürfte sich bald ändern. Während ausnahmslos überall anders heftig gespart werden muss, steigen die Investitionen im PP-regierten Galizien um 9,5 Prozent. Wird wohl „alternativlos“ gewesen sein.

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„Das ganze Leben lang war ich ein Betrüger, aber für einen kleinen Teil der Beute wird mich die Regierung jetzt zum Held erklären.“

Die zweite Front hat die Vereinigung der Steuerprüfer Spaniens (IHE) eröffnet. Sie hält die geplante Steuer-Amnestie, mit der die Regierung 2,5 Milliarden Euro einfahren will, für „ethisch verwerflich, ein Attentat gegen den Rechtsstaat und ausserdem verfassungswidrig“. Die Steuerprüfer spucken Feuer, weil sie ihre Tätigkeit negativ beeinflusst sehen „und die Amnestie einen Zerfall der Moral bei den steuerehrlichen Bürgern bewirken wird; damit automatisch ein geringeres Steueraufkommen.“ – Wer sich freikaufen will in dem neuen Ablasshandel, bringt seine Millionen aus dem Steuerparadies zurück nach Spanien und zahlt freundliche zehn Prozent Steuern dafür – fertig.

12 Kommentare zu “Bildung – tot; Kultur – tot; Wissenschaft – tot; Überschrift: Spanien!

  1. bravo56 sagt:

    Ähnliche Kürzungen gab es in Deutschland auch. Aber über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren gestreckt. Da hat man den Leuten immer gesagt, „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“. Das hat prima geklappt. So gut wie keine Demonstrationen. Der Deutsche Michel ist sehr leidensfähig. Das Leiden ist ja sozusagen seine Natur. Die Leidensfähigkeit wird aber bald auf eine noch härtere Probe gestellt werden. Dann nämlich, wenn die Sparmaßnahmen in den anderen Ländern so richtig auf die deutsche Exportwirtschaft durchschlägt. Dann wirds hier auch noch viel übler.
    Bezüglich der Realität streut man auch jetzt dem Michel Sand in die Augen. Wie oft gibt es hier Erfolgsmeldungen, wie toll die Wirtschaft doch brummt. Und wie undankbar die Menschen im Süden sind, wo wir denen doch so viel Geld schenken. Das ist fieseste Propaganda.
    Die Kürzung der Mittel für die Arbeitsförderungsmassnahmen ist eine weitsichtige Maßnahme, wenn man erwartet, dass es aufgrund der Sparmaßnahmen zu noch mehr Arbeitslosen kommen wird. Die Ausgaben für die Arbeitslosen würdne ja sonst explodieren.

  2. kingkenny7 sagt:

    Nicht, dass das alles nicht schon schlimm genug ist, mit der Erklärung, dies wäre ein solidarischer Haushalt, verhöhnt man die Betroffenen auch noch.

  3. almabu sagt:

    Der Zwangs-Sparhaushalt des Mariano Rajoy ist ein humanitäres Verbrechen, gegen das Widerstand nicht nur sinnvoll sondern auch legitim ist!

    Diese Versuche der EU müssen scheitern, sowohl in Griechenland, als auch in Spanien, ob in Portugal oder Italien. Wenn die EU damit durchkommt, dann geht es in diesem Stil großflächig zu Sache…

  4. fischi sagt:

    Hier wird das blos langsam dafür aber seit Jahren gekürzt.
    Bei uns gerade das Theater.
    Die Bildung wird immer mehr privatisiert, was noch nicht so direkt zu bemerken ist.
    Aber sie sind dabei.
    Bei den Hochschulen ist es schon etwas weiter.
    Interessant wird es mit dem Verarmungsgesetz, Schuldenbremse genannt.
    Ob man die ganzen Millarden bei den Armen sparen kann?
    Dann ist Amerika dagegen ein Paradies.

  5. Erster Satz: das ist nicht das Defizit (Ausgaben minus Einnahmen in einem Haushaltsjahr), sondern der Schuldenstand (alle Schulden im Verhaeltnis zum Bruttoinlandsprodukt).

    Ansonsten: krass! Um es mit Southpark zu sagen: Sie haben Spanien getoetet!

  6. Stephan sagt:

    Oh man, die Urlaubssaison steht in den Startlöchern und Spanien entwickelt sich langsam aber sicher zum „Pulverfass“! Wenn es da mal nicht in den nächsten Woche so richtig los geht! Oder werden die Spanier (Demos) eventuell die Touristen nutzen um auf die Missstände aufmerksam zu machen! Warten wir mal ab was sich da in den nächsten Monaten im „Süden der EU“ so entwickelt und wann es auch bei uns dann so richtig kracht. In meinen Augen ist das nur eine Frage der Zeit!

  7. […] seine Geldpolitik kontrollieren zu können, jetzt zu einer Reduktion der Löhne und Kosten führen, in der Summe zu einer Verelendung des Landes. Das alles hat mit “sieben Jahren Sozialismus” wahrlich nichts zu tun. Soraya […]

  8. […] die Budgets für Repression, wie wir in Valencia sehen konnten. Es sieht so aus, als könnte man jetzt auch auf Stipendien für Fremdsprachenkurse verzichten, weil sowieso immer mehr Menschen ihr Heil im Ausland suchen müssen. Viele derjenigen, die jetzt […]

  9. […] schreit ein pensionierter Feuermann wütend. Leute mit grünem T-Shirt protestieren gegen die Einschnitte bei Bildung und Erziehung; Männer mit Helm gehören zur Feuerwehr; Polizisten in Zivil gehen in Valencia neben einigen […]

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