Ich kann mir aussuchen, wie es mir geht

J.J.Cale

Gesund, genug zu essen, eine gute Flasche Wein im Keller. Es geht mir hervorragend, kaum besser möglich.

Heute ist derjenige mit 74 Jahren gestorben, der mich seit Jahrzehnten begleitet. Ganz dicht an mir, immer präsent, ein enorm wichtiges Stück meiner Welt: J.J.Cale. Von allen Musikern dieses Planeten der weitaus wichtigste, mit grossem Abstand. Schlimmer konnte es kaum kommen. Seine Musik bleibt, aber er ist nicht mehr da. Es geht mir schlecht heute, wirklich sehr schlecht.

Vor dem offenen Fenster strahlt die Sonne, wohlige 28 Grad umschmeicheln die Haut. Natur breitet sich friedlich aus, Palmen drängeln sich wedelnd in den Vordergrund. Rechts und links freundliche, tolerante, stets hilfsbereite Nachbarn. Mehr geht kaum, es geht mir gut.

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Die spanische Regierung sagt, von der gesamten Summe, die als Hilfe an die Banken gegangen ist, seien 36 Milliarden Euro wohl unwiederbringlich verloren. 36 Milliarden Euro – exakt die Summe, die bei den Kürzungs- und Streichungsprogrammen in Gesundheit, Bildung und Kultur „eingespart“ wurde. Es geht mir nicht nur schlecht – kotzen könnte ich vor Zorn.

Ganz egal, welchen privaten Aspekt ich beleuchte, es geht mir gut. Sehr gut. Klagen könnte ich nicht einmal, wenn ich es mir fest vornehme.

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Buba ist Kellner in einem Touristenhotel in Gambia. Der farbige junge Mann ist knapp über 20 und hat immenses Glück. Er hat einen Job. Die übergrosse Mehrheit seiner Altersgenossen hat keinen. Für einen Monat Arbeit bekommt er umgerechnet nicht ganz 30 Euro. Auch Glück, denn die meisten anderen bekommen nur 25 Euro im Monat inklusive aller Überstunden. In einem Land, in dem die Lebensmittel im Supermarkt weit teurer sind als in Deutschland oder Spanien. Er wolle ja nicht klagen im Prinzip, sagt er, immerhn habe er die Chance, etwas zu verdienen. Nur die vollkommen aussichtslose Zukunftsperspektive mache ihn innerlich fertig. Niemand interessiert sich für Gambia, niemand interessiert sich für Afrika. Egal, wie sehr sich der gut ausgebildete Buba anstrengt, egal wie hart er arbeitet; er hat keine Chance, wird nie eine haben.

Er weiss genau, dass es wahrlich kein Zuckerschlecken ist, als „illegaler“ Farbiger in Europa auf irgendeinen grünen Zweig zu kommen; er schätzt die Situation exakt richtig ein. Dennoch – wird er auf Dauer der Versuchung widerstehen können, in eins der kleinen Boote Richtung Kanarische Inseln zu steigen und sein Leben zu riskieren, wenn es zu Hause so gar keine Chance gibt? Er weiss es selbst nicht.

Es geht mir sehr gut. Wie gut geht es mir, wenn es Buba so geht wie es ihm geht, wenn mehr als 50 Prozent aller jungen Spanier arbeitslos sind, wenn mehr als ein Viertel aller Deutschen im Niedriglohnsektor arbeiten muss, wenn Snowden dankbar sein muss, dass die USA versichern, ihn nicht foltern zu wollen … ich kann mir aussuchen, wie es mir geht. Die Bandbreite ist enorm – und Uhupardo ist zurück.

25 Kommentare zu “Ich kann mir aussuchen, wie es mir geht

  1. Herzlich willkommen zurück.

  2. CAW sagt:

    Welcome back – I missed you!

  3. BoneBabe sagt:

    Na endlich! 🙂 Grüße aus Hoya de Tunte

  4. Greekrabbit sagt:

    Wieder zurück ! Danke aus Greece …..

  5. TheBeat sagt:

    Herzlich willkommen zurück! 😀
    Wenn ich hier auch bis jetzt nur still mitgelesen habe, ich hab dich vermißt. 😉

  6. aussteiger sagt:

    endlich zurück. habe deine beiträge sehr vermisst. nimm deine flasche wein aus dem keller und tröste dich ein wenig (kotzen kannst du danach ja immer noch).
    „um fair teilen“ muss auch wirklich gewollt werden. wir alleine wählen unsere zukuft.
    liebe grüsse von hier

  7. Fabienne Lui sagt:

    Bienvenido de nuevo! Ya le hemos echado de menos! 😉

  8. Marcos sagt:

    Ja lieber Uhupardo, die Bandbreite kann enorm sein …
    —–
    Willkommen zurück – schön, dass Sie wieder da sind mit wie ich denke neuen interessanten, kritischen etc. … Beiträgen 🙂

  9. Uhupardo sagt:

    Der Brecht-Text bringt es tatsächlich auf den Punkt, Solveigh.

    Muchas gracias, liebe Leser. Es ist weit besser vermisst zu werden als nicht (gilt auch für bisher stille Mitleser). 🙂

    Sí, Marcos, die Gelegenheiten neuer kritischer Beiträge werden sicher nicht fehlen. Die politische Situation in Spanien ähnelt zunehmend einem nahezu unglaublichen Schmierentheater, in D dürfte in den kommenden Wochen auch genug Gesprächststoff sein.

    merk4

    Generell driften die beiden Welten der vielen (neuen und alten) Armen und wenigen Reichen überall immer weiter und vor allem vollkommen schamloser auseinander. Wie das am Ende noch gut gehen soll, weiss wirklich kein Mensch.

  10. Traumschau sagt:

    Welcome back!
    Hatte mich schon gefragt wo du steckst …
    Herzliche Grüße
    Traumschau

  11. fischi sagt:

    Na dann mal auf ein neues!
    Das Video von J.J. Cale ist in D natürlich wieder zensiert.
    Hier fuzt es wenigstens bis auf 3 Titel.

    Manche bezeichnen die heutige Zeit als interessant, aber ich glaube auf diese Erfahrung könnte ich auch verzichten.

    • KatKat sagt:

      „Dieses Video ist nicht verfügbar.“

      Ja, ja…Youtube und seine Einschränkungen!

      Aber ich habe heute dort schon einiges *en memoria“ an J.J.Cale sehr gern wieder gehört.
      Danke für seine Musik und vielen Dank auch an Uhupardo für seine lang vermißten Beiträge, die uns diese schwierigen Zeiten ein wenig erleichtern.

      LG nach Spanien 🙂

  12. Lausitz sagt:

    Auch von mir(auch eher stiller Mitleser) ein herzliches Willkommen zurück Uhupardo!
    Das plötzliche Ende des Jacob Jung Blogs war schon schmerzlich genug, umso erfreuter bin ich, dass du wieder „sendest“.

    • Uhupardo sagt:

      Gracias, Lausitz. Man muss sich nicht wundern, wenn einige aus Besorgnis um persönliche Sicherheit zurückzucken. Auch wir haben jetzt deswegen ein paar Vorsichtsmassnahmen getroffen. Die Staatsapparate wissen genau, was auf sie zurollt, so ist zu vermuten, und sind offensichtlich fest entschlossen, rigoros zu reagieren.
      http://gutjahr.biz/2013/07/dagger-complex/

      Kleiner, aber überaus praktischer Tipp am Rande: Firefox Add-on „anonymoX 2.0.2“

  13. Carmen sagt:

    Ich bin auch froh, dich wieder lesen zu können! Beste Grüße aus dem heißen Frankfurt schickt Carmen

  14. Carmen sagt:

    Habe heute morgen im Radio vom Jugendforscher Klaus Hurrelmann den Satz gehört: „Der Jugend geht es zwar schlecht, aber doch ziemlich gut“, was mich an deine Post erinnert hat und dann recherchiert. Der Tagesspiegel fasst die neue Jugendstudie so zusammen:

    „In allen Jugendstudien fällt auf, dass die junge Generation heute auf die strukturelle Unsicherheit und die Ungewissheit, wie es nach der Jugendphase im Leben weitergeht, nicht passiv reagiert, sondern aktiv mit starken Investitionen in die Verbesserung ihrer Bildung. Sie sehen die Möglichkeit zur Bewältigung der Zukunftsunsicherheit in individueller Anstrengung und konzentrierter Lebensführung. Durch einen hohen Bildungsabschluss und wache Flexibilität der Zukunftsperspektiven wollen sie sich eine günstige Position für den beruflichen Sektor und damit für das gesamte weitere Leben sichern. Die Mehrheit von ihnen ist überzeugt, diesen Aufstieg über das Schul- und Hochschulsystem auch tatsächlich bewerkstelligen zu können, obwohl sie zugleich spüren, wie schwierig das in Zeiten der noch anhaltenden Jugendarbeitslosigkeit und der nicht überwundenen Finanzkrise ist.“ (http://www.tagesspiegel.de/meinung/so-tickt-die-jugend-optimistische-egotaktiker/7017482.html)

    Würde die deutsche Jugend mal über ihren Tellerrand z.B. nach Spanien schauen, könnte sie sehen, dass die Selbstoptimierung angesichts der vorhandenen gesellschaftlichen Situation wenig bringt.

  15. Ulrich Fiege sagt:

    Hallo und einen schönen guten Tag, Endlich wieder zurück!

  16. plutonomie sagt:

    Bienvenido de vuelta,
    als stiller Mitleser hatte ich schon befürchtet auf meine alltägliche Dosis Uhupardo verzichten zu müssen, um so erfreulicher ist es, wieder etwas von dir lesen zu können.

  17. Schön, dass Du hier weitermachst! Ich habe die Beiträge sehr vermisst und immer wieder nachgeschaut, ob nicht vielleicht doch einfach nur das RSS Feed kaputt ist…

    Und: Der Beitrag beschreibt genau das Gefühl, das mich manchmal völlig fertig macht: Es geht einem viel zu gut, dafür dass es so scheiße läuft!

    Und: Wunderschönes Bild. Teno? Oder La Gomera? Sieht irgendwie kanarisch aus…

  18. Mosrokul sagt:

    Juhuu, der Uhu ist wieder da. Ein herzliches willkommen zurück von einem ebenfalls stillen Mitleser. Und gleichzeitig ein herzliches Beileid zum Verlust.
    Liebe Grüße aus dem ebenfalls sehr heißen Berlin.

  19. […] Lesen Sie dazu auch: * Handlungsdruck * Ich kann mir aussuchen, wie es mir geht […]

  20. fledder sagt:

    Bin auch sehr froh, dich wieder ‚lesen‘ zu können … bleib‘ dran … wir werden dich in den nächsten Jahren wohl noch häufig als Therapie zur schrecklichen Realität benötigen.

  21. hannesgc sagt:

    Willkommen zurück. Hatte dich schon vermisst. Grüße aus den Tiefen des Barrancos de Arguineguin von einem, der nicht länger bereit war die perfektionierte deutsche Volksverarschung zu ertragen.
    Ich habe meinen SCHLUSSSTRICH endgültig gezogen.

  22. Ellen sagt:

    Ich freue mich aus ganzem Herzen, einen wohlbehaltenen „Uhu“ wieder lesen zu können 🙂

    Der im Artikel beschriebene Handlungszwiespalt treibt auch mich häufig um. Manches Mal glaubte ich, auch noch immer auf hohem Niveau zu „jammern“ (EU-Rente und Wohngeld)
    Aber es bringt nichts, das Leid des einen mit dem Leid des Anderen zu vergleichen, selbst wenn es als Selbst-Korrektur angedacht ist.
    Leid hat viele Gesichter, Leid ist individuell.
    Und wenn ich mir Zorn gestatte beim Lesen/Hören von Sätzen wie:“…in Deutschland geht es keinem schlecht, schau mal nach Afrika, daaa…“ dann darf auch ich nicht in diesen gedanklichen Vergleichsfehler fallen.
    Was bleibt,sind ein Wachbleiben-Müssen und „widerständische“ Handlungen, die jeder im ihm eigenen Rahmen vornehmen kann.
    Mein Leitspruch dazu:
    „Wenn Du glaubst, Du bist zu klein, um etwas bewirken zu können, versuche mal, mit einer Mosquito im Zimmer zu schlafen“ (Dalai Lama)

    In diesem Sinne…

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