Aus verschiedenen Stadtteilen Madrids treffen gerade Demonstranten im Sternmarsch an der Puerta del Sol in Madrid ein. Es ist längst nicht nur der 2. Geburtstag der Bürgerrechtsbewegung 15-M – viel mehr soll auch heute der geharnischte Protest gegen die Massnahmen der Regierung von Mariano Rajoy Vorrang haben, die Spanien ins Elend stürzen. Während die Zinsen für Staatsanleihen wieder auf einem finanzierbaren Niveau angekommen sind und die Börsen steigen, sind inzwischen fast zwei Millionen Familien ohne jedes Einkommen, sechs Millionen Menschen sind arbeitslos.
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Das Wort hat der Herr Minister … nicht
Nach zwanzig Minuten hat er definitiv aufgegeben, der Herr Minister, und fuhr unverrichteter Dinge wieder nach Hause. José Ignacio Wert wollte heute Abend einen Vortrag in einem Hotel in Sevilla halten. Er kam nicht dazu. Etwa 100 (nicht-)Zuhörer liessen ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Der spanische Minister für Bildung, Kultur und Sport hat keine guten Karten mehr in der Bevölkerung. Zum Beispiel seine Bestrebungen, die Staatsbügerkunde zugunsten von Religionsunterricht zurück zu drängen, verzeiht man ihm nicht.
Spanien demonstriert heute in mehr als 50 Städten gegen die Regierung
In Madrid sind es etwa 70.000 und 5.000 in Sevilla. Manchmal kommen auch nur 500 Demonstranten zusammen wie auf den Kanarischen Inseln – doch überall im Land protestieren die Menschen heute gegen ihre Regierung und für ein Referendum unter dem Motto „Sie wollen das Land ruinieren, wir müssen das verhindern“. Vor einem möglichen Generalstreik am 14. November hatten die Gewerkschaften und 150 andere Organisationen für den heutigen Sonntag zu Demonstrationen aufgerufen. Ein weiterer Schritt hin zum erwarteten heissen Herbst in Spanien.
Oscar für Cesc Fabregas
Die international bekannte Schauspielschule Barcelona hat soeben mitgeteilt, dass ein weiterer ihrer Schüler gestern in Sevilla einen „Oscar“ verliehen bekam. Wir gratulieren recht herzlich!
Einige der vorherigen Preisträger aus der prestigeträchtigen Institution im Nordosten Spaniens finden Sie hier und hier.
Protest im Supermarkt: „Wenn man das Volk enteignet, müssen wir die Enteigner enteignen!“
Besitz ist eine tolle Sache. Es sei denn, wenige haben alles und die meisten nichts, dann kommt es irgendwann unausweichlich zu Konflikten. So geschehen heute in zwei grossen Supermärkten Spaniens, als Gewerkschaftsmitglieder und der beinahe schon berühmte Bürgermeister von Marinaleda etliche Einkaufswagen füllen liessen, um die „abgestaubten“ Lebensmittel den Tafeln für die Bedürftigen zur Verfügung zu stellen: „Wenn man in dieser Krise das Volk enteignet, werden wir die Enteigner enteignen“, begründete Bürgermeister Juan Manuel Sánchez Gordillo die Aktion.
Ab jetzt gibt es keine Ruhe mehr: Hunderttausende Spanier demonstrieren in 80 Städten
In Madrid (Foto oben) sind es gestern mehr als 100.000 gewesen, ebenso in Barcelona. In mehr als 80 spanischen Städten brannte die Luft gleich doppelt: Auch 40 Grad Hitze konnte nicht mehr verhindern, dass die Menschen ihren Zorn auf die Strasse trugen. Der Protest lässt sich nicht mehr auf bestimmte Berufsgruppen oder soziale Schichten reduzieren – jetzt reicht es allen. Spanien ist ein ganz besonderes Land. Die Menschen halten lange still, bringen Opfer. Doch wenn sie einen gewissen Punkt überschritten sehen, gibt es kein Zurück mehr. Dieser Punkt ist jetzt! Regierungschef Mariano Rajoy hat das unterschätzt, offensichtlich kennt er sein eigenes Land zu wenig.
FC Barcelona – erfolgreich und langweilig
Da sass ich am Samstag breit grinsend vor dem Schirm mit der Partie Barça – Sevilla und freute mich seit Ewigkeiten mal wieder ein spannendes Spiel mit Beteiligung der Katalanen zu sehen. Warum war es spannend? Weil endlich mal wieder etwas passierte, das so nicht vorhersehbar war. Sevilla war nicht mit Top Kader ins Camp Nou gekommen und die drei Punkte schienen den Gastgebern schon so gut wie sicher.
Und dann schafft Sevilla mit viel Konzentration tatsächlich das schier Unmögliche – sie halten das 0:0 indem sie alles auf Defensive und ein Unentschieden setzen. Da schreien natürlich sofort wieder die Moralapostel des Offensiv-Fußballs „Verweigerung, Anti-Fußball; Catenaccio, usw.“, aber im Grunde ist genau diese extreme Defensiv-Taktik die einzig konsequente Antwort auf das spielerische System Barcelonas, das sich vor lauter Ballbesitz langsam auch nicht mehr daran stören würde, wenn plötzlich kein Gegner mehr auf dem Platz stünde. Nein, ich sage damit nicht, dass man nur so gegen Barça bestehen kann oder man so gegen dieses Team spielen müsse oder sollte. Aber genau diese komplett mauernden Mannschaften sind das hässliche Spiegelbild Barcelonas.
Warum? Barças Spiel ist prinzipiell betrachtet Sicherheitsfußball par excellence. Es ist scheinbar offensiv, weil Barça den Ball hat, aber mal ehrlich, die Kugel über zig Stationen laufen lassen, beinahe schon im 16er lauern, solange bis der Gegner einen Fehler macht, um dann in die sich öffnenden Lücken zu stossen, hat noch lange nichts mit Angriffsfreude und leidenschaftlicher Offensive zu tun. Auch wenn Cruyff als geistiger Vater des Systems Barcelona gilt und dieser Name mit dem „totalen Fußball“ assoziiert wird, das heutige Barcelona spielt diesen Fußball definitiv nicht. Dazu fehlt eine entscheidende Komponente.
Barça verweigert konsequent jedes Risiko. Ein Ballverlust wird nur dann in Kauf genommen, wenn sich über zwei oder drei schnelle Spielzüge eine Torchance bietet, sonst spielt man lieber noch mal einen weiteren abwartenden Pass zu Seite. Mit AngriffsLUST, Mut oder Risikofreude hat das nicht viel zu tun. Mit Effektivität allerdings schon. Aber wenn ich Effektivität sehen will, kann ich auch einer Nähmaschine zusehen.
Mit Kreativität übrigens noch weniger. Das Witzige am Sevilla Spiel war, dass Barça im Grunde doch alles richtig gemacht hat, so wie sonst auch. Sie versuchten alles, was sie im Repertoire haben, aber das war eben ihr Problem – dieses Repertoire ist zwar perfektioniert, aber begrenzt. Wenn man 10-15 Barça Spiele gesehen hat, hat man alles gesehen. Die Angriffe verlaufen immer wieder nach den selben Schemata, komplett schablonenhaft, vollkommen vorhersehbar – aber dennoch verdammt erfolgreich, weil sie eine ganze Reihe von Spielern haben, die die Schemata perfekt verinnerlicht haben, die technisch überragende Fähigkeiten besitzen und als die idealen Zahnräder im Getriebe Mannschaft funktionieren. Der gegnerischen Abwehr fast immer einen Schritt im Kopf und auf dem Platz voraus, machen sie so ihre Tore. Sevilla hatte ihre Schablonen genau studiert, ihr Spielfeld (nur die Sevilla-Hälfte des Feldes) mitsamt Laufwegen zugestellt. Und mit etwas Glück, den Treffer verhindert.
Wann bitte hat man bei diesem Barcelona das letzte Mal etwas wirklich Überraschendes gesehen, etwas Kreatives oder Verrücktes, das aus dem Schema und System ausbricht? Schnörksel, irgendetwas das nicht einem sofortigem Nutzen untergeordnet ist? Ich vermute dieses Element ist mit Ronaldinho entgültig verschwunden. Vielleicht wäre etwas Verrücktes, Unberechenbares am Samstag genau der Schlüssel zum Tor gewesen.
Die einzigen spektakulären Momente, die bei Barça wirklich bleiben sind die Zauberdribblings von Messi, die manchmal nicht den Regeln der Physik zu unterliegen scheinen. Das Genie, das bezeichnenderweise in einer topbesetzten argentinischen Nationalelf nur ein Schatten seines barcelonischen Selbsts ist, trotz Zauberdribblings. Ein perfektes Rädchen bringt ohne entsprechendes Getriebe eben wenig. Hier offenbart sich ein anderer Messi, kein schlechter, aber nicht DER Spieler schlechthin.
Natürlich kann man jetzt widersprechen und sagen Xavi oder Iniesta, auch Messi sind Kreative, die Köpfe des Spiels – klar gestalten sie, aber ihre Kreativität bricht nie aus dem System an sich aus, sonst wüssten ihre Mitspieler ja auch nicht mehr im Schlaf, wohin sie als nächstes zu spurten haben. Technische Klasse, perfektes Teamplay, ein komplett verinnerlichtes und beinahe automatisch ablaufendes Systems. Erfolgreich noch dazu. Und langsam aber sicher so langweilig.
Ich hätte es auch kürzer machen können: Der FC Barcelona ist die Antithese zum jogo bonito wie es die Brasilianer lieben – zehn Zauberkünstler und Anarchisten auf dem Feld, verspielt, kreativ, manchmal taktisch undiszipliniert, aber mit unglaublicher Spielfreude – und vor allem nicht langweilig oder berechenbar. Da verzeihe ich es ihnen auch gerne, wenn sie mal nicht gewinnen.