Der Tag nach dem Crash – Teil 3: Democracia 4.0

In Spanien läuft gerade eine interessante und sehr angeregte Diskussion über ein noch interessanteres Thema: Partizipative Demokratie

Democracia 4.0 soll für mehr Bügerbeteiligung an den Entscheidungen sorgen, ohne das System zu sprengen. Die Zustimmung zu diesem Modell wächst stündlich und exponentiell.

Erklärt ist es schnell: Bisher stimmen in Spanien 350 Abgeordnete für die Interessen von 35 Millionen (abstimmungsfähigen) Erwachsenen ab. Democracia 4.0 will nun alle diejenigen Bürger bei Abstimmungen einbinden, die ebenfalls abstimmen wollen. Wer nicht will, soll es einfach lassen.

Das geht so: Wenn 1.000.000 Spanier zukünftig per Computer beschliessen, an der Abstimmung über ein Gesetz per Computer teilnehmen zu wollen, wird einfach der Wert der Stimme der Parlamentsabgeordneten etwas reduziert, nämlich um ein 35-Millionstel. Statt “ein Abgeordneter = eine Stimme” hätte dann die Stimme der Abgeordneten jeweils einen Wert von 0,9.

So gäbe es dann tatsächlich “Eine Person – eine Stimme”in Spanien für 35 Millionen Menschen, das Motto dieser Bewegung.

Logo 4.0

Es bleibt bei 350 Abgeordneten, nur gibt jeder ein kleines bisschen Stimme ab an diejenigen, die per Computer abstimmen wollen. Für je 100.000 Stimmen bekäme das Volk so einen virtuellen Abgeordneten. Wenn eine Million Bürger also per Computer abstimmten, wären es “zehn Abgeordnete des Volkes”. Diese Form der Bürgerbeteiligung gibt jedem die Möglichkeit Einfluss zu nehmen, wenn er denn will.

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Beispiel

Eine Gesetzesvorschlag, der zur Abstimmung kommt, sieht soziale Einschnitte vor.

Die folgende Abstimmung im spanischen Parlament ergibt – zwischen allen Parteien – dieses Ergebnis:

180 Abgeordnete stimmen mit “Ja”
170 Abgeordnete stimmen mit “Nein”
Endergebnis: Die sozialen Einschnitte sind beschlossen.

180 Abgeordnete (x 0,9) stimmen mit “Ja” = 162
170 Abgeordnete (x 0,9) stimmen mit “Nein” = 153
1 Million Bürger haben online mit “Nein” gestimmt = 10 Abgeordnete
Endergebnis: Die sozialen Einschnitte wurden mit 163 (153 + 10) zu 162 abgelehnt.
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Bei Gesetzesvorlagen, die überhaupt kein Interesse in der Bevölkerung zeitigen, stimmen weiterhin die 350 Abgeordneten allein ab, dafür werden sie bezahlt.

Demo

Geht das technisch überhaupt? Ja, keinerlei Problem. In Spanien kann man inzwischen seine Steuererklärung abwickeln, elektronisch Gebühren bezahlen und vieles andere. Die nötige Technik für Abstimmungen steht bereits zur Verfügung, man muss sie nur nutzen wollen. Mehrere Parlamentsabgeordenete haben in Spanien bereits von zu Hause abgestimmt (wegen Krankheit meist) per sicherem digitalen Zertifikat.

Was ist mit denen, die keinen Computer haben?
In vielen Dörfern und Städten Spaniens gibt es bereits Stellen (nicht selten in Blibliotheken angesiedelt), die Computer öffentlich und gratis zur Verfügung stellen. Das Netz könnte erweitert und entsprechend technisch ausgerüstet werden.

Welche Vorteile bringt Democracia 4.0 ?
– Es müssen keine teuren Volksabstimmungen organisiert werden, wenn es um Projekte geht, die in der Bevölkerung enorme Resonanz auslösen.

– Democracia 4.0 beinhaltet nicht das Risiko der Minderheiten-Diktatur – wenn zum Beispiel bei reinen Volksabstimmungen nur fünf Prozent der Bürger teilnehmen und somit uber die restlichen 95 Prozent bestimmen.

– Wer eine politische Meinung hat und per Abstimmung äussern will, kann das. Niemand muss.

– Das Bewusstsein der Bevölkerung bezüglich der Abstimmungen im Parlament steigt. Die Abgeordneten würden ihre Arbeit ernster nehmen, weil sie das Gefühl haben, das man ihnen zuschaut. Kein Blanko-Scheck mehr alle vier Jahre sondern aktive Beteiligung aller.

Braucht es dafür eine Verfassungsänderung?
Nein! Die Geschäftsordnung des Parlaments zu ändern, würde ausreichen. Denn die spanische Verfassung sagt schon alles Nötige:

Artikel 1.1. Spanien konstituiert sich als sozialer und demokratischer Staat, der als wichtigste Werte seiner juristischen Ordnung die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Gleichheit und pluralistische Politik zu förden bestrebt ist. Die Staatshoheit liegt beim spanischen Volk, woraus die den Staat bestimmenden Kräfte erwachsen.

Artikel 9.2. Den staatlichen Organen obliegt es, die Beteiligung der Bürger am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben zu ermöglichen.

Im Juni 2010 hat Juan Moreno Yagüe, ein Anwalt aus Sevilla, entsprechend der spanischen Gesetze, eine diesbezügliche Eingabe mi Parlament eingereicht, um so an den Abstimmungen teilnehmen zu können. Von zu Hause aus, per Internet. Trotz eines bestehenden Gesetzes, das besagt, dass solche Eingaben innerhalb von drei Monaten beantwortet werden müssen, wartet er bis jetzt auf eine Reaktion. Die Mühlen derjenigen, die Machtverlust befürchten, mahlen besonders langsam.

Democracia 4.0 würde sich mit entsprechend veränderten Werten in jedem Staat verwirklichen lassen. Die Diskussion ist eröffnet!

Information in spanischer Sprache finden Sie hier.

Was Bundeskanzlerin Angela Merkel von partizipativer Demokratie auf Bundesebene hält, sagt sie im neuen Youtube-Bürgerkanal: Nichts! http://www.youtube.com/bundesregierung

8 Kommentare zu “Der Tag nach dem Crash – Teil 3: Democracia 4.0

  1. Fabian sagt:

    Hallo in Safari sieht dein Design irgendwie komisch aus.

  2. W. H. sagt:

    Abstimmung per Computer ist genauso Quatsch wie Wahlmaschinen, denn da kann man sich die manipulierten Stimmen beim hostenden Provider der Abstimmung kaufen

  3. ProFreiheit sagt:

    Die Abstimmung per Computer kann so gestaltet werden, daß sie sicher ist.
    Dafür muß man halt Brainstorming machen, anstatt gleich zu behaupten, daß
    es nicht gehen kann….

    Die Idee zur Partizipation ist auf jeden Fall richtig.
    So, wie sie hier dargestellt wird, ist sie jedoch ungerecht.

    Der Anteil von Computerstimmen muß auf die Wählerbeteiligung bei den Parlamentswahlen umgerechnet werden, nicht auf die Zahl der Wahlberechtigten.

    Ein Verbrechen der „repräsentativen Demokratie“ besteht unter anderem darin, daß oft nur Wahlbeteiligungen zwischen 50 und 70 Prozent der Wahlberechtigten
    zustandekommen.

    Das Argument, daß die Nichtwähler „selbst schuld “ sind, ist nicht stichhaltig.
    Viele Nichtwähler finden nämlich keine Partei auf dem Wahlzettel, welche für sie wählbar ist.
    Eine Partei zu gründen ist praktisch unmöglich für den Einzelnen, zumal dann, wenn er eine Vollzeitarbeitstelle hat und jeden Monat darum kämpft, über die Runden zu kommen.

    Die etablierten Parteien haben sich den Staat zur Beute genommen und ohne Hilfe in finanzieller und/oder medialer Form werden neue Parteien überhaupt nicht wahrgenommen.

    Also, wenn schon Bürgerbeteiligung bei Abstimmungen, dann nicht mit einem Bonus für die Parlamentarier, sondern auf der Basis des Verhältnisses der Wahlberechtigten zu den Wählern, dann ist es gerechter.

    Eine andere Form der Partizipation nennt sich „Bürgergutachten“.
    http://www.buergergutachten.com/buergergutachten/

  4. […] (Anm. der Red.:  Wenn Sie sich dafür interessieren, wie das ständige Abstimmungsrecht genau praktiziert werden soll, lesen Sie unseren Artikel über “Democracia 4.0″, denn der Ansatz von Partido X wurde von dort fast baugleich übernommen: Klick) […]

  5. […] (Anm. der Red.:  Wenn Sie sich dafür interessieren, wie das ständige Abstimmungsrecht genau praktiziert werden soll, lesen Sie unseren Artikel über “Democracia 4.0″, denn der Ansatz von Partido X wurde von dort fast baugleich übernommen: Klick) […]

  6. fakeraol sagt:

    Ein paar Anmerkungen zu den Aussagen unter
    Welche Vorteile bringt Democracia 4.0 ?

    > – Es müssen keine teuren Volksabstimmungen organisiert werden, wenn es um Projekte geht, die in der Bevölkerung enorme Resonanz auslösen.

    Was ist der Unterschied zwischen Volksabstimmungen und „Democracia 4.0“?
    Unter Geht das technisch überhaupt? und Was ist mit denen, die keinen Computer haben? ist doch beschrieben, daß dafür ein teilweise Ausbau der bestehenden Netze nötig wäre. Wieso sollte es teurer sein, wenn die Leute dann zu Sachfragen ihre Stimme abgeben abhängig davon, ob man diese Abstimmungen „Volks“abstimmungen oder „Democracia 4.0“ nennt? Es wäre in beiden Fällen jeweils der gleiche Vorgang, warum sollte der unterschiedliche Kosten verursachen?

    > – Democracia 4.0 beinhaltet nicht das Risiko der Minderheiten-Diktatur – wenn zum Beispiel bei reinen Volksabstimmungen nur fünf Prozent der Bürger teilnehmen und somit über die restlichen 95 Prozent bestimmen.

    Ziemlich verdrehte Darstellung, zumal gleich darumter steht:
    – Wer eine politische Meinung hat und per Abstimmung äussern will, kann das. Niemand muss.

    Niemand zwingt die 95% doch, der (Volks-)Abstimmung fernzubleiben? Sie entscheiden sich freiwillig dafür, das ist das Gegenteil einer Diktatur.

    > – Das Bewusstsein der Bevölkerung bezüglich der Abstimmungen im Parlament steigt. Die Abgeordneten würden ihre Arbeit ernster nehmen, weil sie das Gefühl haben, das man ihnen zuschaut. Kein Blanko-Scheck mehr alle vier Jahre sondern aktive Beteiligung aller.

    Die nehmen ihre Arbeit schon ernst, auch jetzt, weil sie wissen, daß ihnen die Lobbyisten auf die Finger schauen.

    Irgendetwas stimmt auch an der ganzen Berechnung nicht. Wenn alle 35 Mio Menschen selber abstimmen, müsste damit der Stimmanteil der Abgeordneten auf Null fallen. Wenn die Stimme der Abgeordneten im Beispiel oben auf 0,9 reduziert wird, sind das 10% ihrer Stimme. 10% von 35 Mio Bürgern sind aber 3.500.000 selbstabstimmende Bürger.
    Ansonsten würden ja auch die angegebenen 1.000.000 selbstabstimmenden Bürger mal 10 , also 10 Mio Bürger von 35 Mio Gesamtbevölkerung schon alle Abgeordneten komplett überstimmen können (und damit tatsächlich den restlichen 25 Mio Bürger, die nicht selber abgestimmt haben, diktieren.

    • fakeraol sagt:

      Als Ergänzung zur Frage „Minderheiten-Diktatur“ noch:

      Was ist denn diktatorischer?

      Von 350 namentlich bekannten Abgeordneten fremdbestimmt zu sein, die einem permanenten Druck der Lobbyisten mehr oder weniger freiwillig unterliegen und deren Leben sich in ganz anderen Verhältnissen abspielt, als das der Menschen, über die sie bestimmen,

      oder

      von beispielsweise von einer Million Mitmenschen, die sich ihr täglich Brot ebenso sauer verdienen müssen, wie alle übrigen, die den Lobbyisten nicht namentlich bekannt sind, und selbst wenn sie bekannt wären, sich mit Sicherheit schon aufgrund der viel größeren Menge und auch, weil sie im Unterschied zu den Abgeordneten von ihren Entscheidungen ja auch selber betroffen wären, nicht effektiv bestechen ließen?

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