Öffentliches Gesundheitssystem nur für Arme

Ab einem gewissen Einkommen muss jeder eine private Krankenversicherung abschliessen, das öffentliche Gesundheitssystem soll nur noch für diejenigen gelten, die sich das nicht leisten können.

Mit dieser Idee macht gerade der Gesundheitsminister Kataloniens, Boi Ruiz, in Spanien Furore. So möchte er das “öffentliche Gesundheitssystem retten” angesichts der geplanten Kürzungen, die von der frisch gewählten Regierung von Mariano Rajoy erwartet werden: “Wir müssen einfach die Debatte über ein ganz anderes Versicherungssystem anstossen!”

Ruiz, der im ersten Jahr Ministerjahr vor allem durch Streichungen im Gesundheitssektor aufgefallen war und dadurch, dass er Kliniken und Ambulatorien dem privaten Kapital öffnen wollte, beeilte sich im Nachhinein zu versichern, an solche Art der Finanzierung denke er bei seinem Vorschlag nicht: “Wir haben über ein Modell wie das Holländische gesprochen, aber entscheiden muss die Zentralregierung in Madrid.”

Leire Pajín, die als Zapateros Gesundheitsministerin in Madrid noch ein paar Tage im Amt ist, spuckte sofort Feuer: “Ich hoffe, die kommende Regierung lässt sich von diesem Herrn nicht in eine solche Richtung drängen. Jede Woche hören wir eine neue fantastische Idee, die vor den Wahlen in Katalonien niemals erwähnt worden ist.”

Auch die Gewerkschaften protestierten energisch. Sie hatten sich mit Ruiz schon angelegt, als der noch Präsident der Klinik-Unternehmervereinigung war (Privat-Kliniken, die auch Verträge mt dem ögffentlichen Gesundheitssystem haben). Damals hatte Ruiz unverblümt vorgeschlagen, doch gleich das ganze Gesundheitssystem zu privatisieren.

Ruiz ist überzeugt, “dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben” und die Schuldenrückführung der kommenden fünf Jahre verbiete es, “jetzt zum früheren Modell zurückzukehren”.

3 Kommentare zu “Öffentliches Gesundheitssystem nur für Arme

  1. birkental sagt:

    Der Schreiber dieses Blogs fällt in vielfältiger Richtung durch Weitblick auf. Ebenso durch Sorgfalt in Recherche und durch den Mut, das Eine mit dem Andern zu verbinden. Zukunftsweisend. Diese Haltung fehlt mir im Beitrag über das neue Gesundheitswesen in Spanien. Gesundheits- und Bildungssysteme sind in jedem Land bodenlose Fässer, die den Haushalt durch Machtansprüche oder aufgeblasene Bürokratie in Schulden stürzen können. Was soll verwerflich daran sein, Systeme anderer Länder auf ihre Tauglichkeit im eignen Land zu prüfen? Gesundheitskosten sind keine Fixkosten, sondern stehen in engem Zusammenhang mit dem Lebensstil der betroffenen Bevölkerung. Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung und Solidarität entstehen an diesem Ort nur durch anteilmässige Kostenbeteiligung, meine ich. Über diese Anteile soll gestritten werden. Privat versus gemeinnützig wäre doch ein allzu grobes Sieb.

    • uhupardo sagt:

      Vielen Dank für das Eingangslob, birkental! Beginnen wir also mit dem “Weitblick”:

      Unseren Arzt (das Gesundheitssystem) zahlen wir jeden Monat, ob wir in seiner Praxis erscheinen oder nicht. Wenn wir dann krank sind, gehen wir zum Arzt, damit er uns heilt. Je länger die Heilung dauert, je mehr Arztbesuche nötig sind, je mehr Behandlungsschritte erforderlich sind, desto teurer wird es.

      Der Arzt setzt ein paar Analyse-Geräte mehr ein als es braucht. Weil er sie hat, weil er sie bezahlen musste, weil sie mehr Geld einbringen als das intensive Gespräch mit dem Patienten, das vielleicht nötiger gewesen wäre. Aus finanziellen Erwägungen hat der Arzt nicht etwa Interesse an möglichst schneller und/oder nachhaltiger Heilung sondern am konkreten Gegenteil, denn nur so kann man die Rechnungssumme erhöhen. Die Pharmakonzerne verdienen, je mehr Rezepte ausgestellt werden.

      Das alles ist marktwirtschaftliches Handeln – und komplett falsch. Dieses System steht auf dem Kopf! Stellen wir es wieder auf die Füsse: Wir dürfen den Arzt nur bezahlen, solange wir gesund sind. Im Krankheitsfall setzt die Zahlung aus, der Arzt bekommt kein Geld mehr, bis wir wieder gesund sind. Nur dann hat er die unbedingte Motivation, uns schnell und nachhaltig zu heilen. Danach setzt die Zahlung wieder ein.

      Nun zur geäusserten Kritik am Spanien-Artikel, die zunächst nicht unlogisch klingt. Sie relativiert sich allerdings sofort, wenn man die Situation von innen kennt.

      Natürlich müssen alle Denkmodelle auf den Prüfstand, auch und besonders die anderer Länder. Beteiligunsmodelle sind kein Sakrileg (innerhalb der falschen Strukturierung, wie oben angesprochen): Ob Rezeptgebühr, zehn Euro pro Arztbesuch oder wie auch immer.

      Auch die Frage, ob ab einer gewissen Einkommensgrenze nicht viel mehr Eigenverantwortung greifen kann und soll, ist unbedingt berechtigt. Allerdings geht es dem angesprochenen Señor genau darum eben nicht. Wer den Werdegang des katalanischen Gesundheitsministers Boi Ruiz verfolgt hat, kennt seine Ziele sehr genau.

      Er hat keinerlei politisches Interesse an einer Systemumstellung zugunsten des Gemeinwohls. Boi Ruiz ist ein knallharter Lobbyist der Privatkliniken und Pharma-Unternehmen. Nur die Vervielfachung deren Einkommen ist von Beginn an sein Bestreben gewesen.

      Man merkt die Absicht und wird verstimmt: Der neue Vorschlag zielt ausschliesslich darauf ab, das Gesundheitssystem Spaniens zweizuteilen: Eine weitmöglichst reduzierte Basisversorgung für die Habenichtse, während diejenigen, die finanziell stärker sind, als Melkkuh für diejenigen herhalten sollen, die seine “Mentoren” sind: Ärzte, Privatkrankenkassen, Privatkliniken und die Pharma-Industrie.

      Boi Ruiz geht es mitnichten um die Verbesserung eines Systems sondern ausschliesslich um die dickere Brieftasche. Jeder, der sich auf seinen Vortrag einlässt, ist schon auf sein vorgeschobenes Anliegen herein gefallen. Die noch amtierende Gesundheitsministerin Leire Pajín hat das sofort erkannt und entsprechend reagiert.

  2. birkental sagt:

    Danke. Das Portrait Boi Ruiz‘ ist jetzt klarer und verständlich, da Machtgier international.

    Die Idee der umgekehrten Interessenlage bei Patientenbetreuung ist faszinierend. Allein: Was für eine Motivation hat der Patient, gesund zu werden? Es sind ja Arzt/ Ärztin Dienstleister, der Patient aber für seine Gesundheit verantwortlich. Einverstanden: das Personal in Spitälern und Praxen braucht informierte und versierte Kontrollen. Z. B. Versicherungen.

    Gesundheit allerseits.

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