Ziviler Ungehorsam per offiziellem Formular sorgt für Bürokratie-Kollaps

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Nichts geht mehr: Die Flut an Eingaben sorgt für bürokratischen Kollaps! Auch so kann man die Staatsapparat lahm legen – indem man ihm seine eigenen Formulare zu Tausenden in die Büros schickt. Die Gesundheitsbehörde in Madrid erstickt in der Papierflut und versteht die Welt nicht mehr. Hier zeigt sich, wie eine originelle und vollkommen legale Aktion des zivilen Ungehorsams, ausgelöst durch „Yo no pago“ („Ich zahle nicht“), für jede Menge Wirbel sorgen kann.

Der Hintergrund: Die Regierung des Grossraums Madrid hatte zum 1. Januar eine Rezeptgebühr eingeführt. Der Witz an der Sache: In Madrid regiert Ignacio González (Partido Popular), der diese Gebühr einführte, um seine knappen Kassen zu konsolidieren; doch sogar der spanische Ministerpräsident und PP-Chef, Mariano Rajoy, ist damit nicht einverstanden. Deswegen beschloss die spanische Regierung heute, die Hauptstadt- Rezeptgebühr ihrer eigenen Parteikollegen vor Gericht anzufechten. Mit diesem Streit hatte Ignacio González, der hartnäckig darauf besteht, dass das ausschliesslich sein Kompetenzgebiet ist, auch gerechnet – viel mehr Probleme bekommt er jetzt zu seinem Erstaunen durch ein simples Formular, das er selbst drucken liess.

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Nicht zahlen, Formular ausfüllen und darauf warten, dass jeder Einzelfall „eingehend geprüft“ wird. Ein klassisches Bürokratie-Eigentor der Madrider Administration.

Dieses Formular liegt seit der Einführung der Rezeptgebühr in den Apotheken aus. Der Zweck: Wer sich als Härtefall empfindet und meint, die Rezeptgebühr nicht zahlen zu können, kann dieses Formular ausfüllen – die Gesundheitsbehörde soll sich danach mit jedem einzelnen Fall beschäftigen und die Berechtigung prüfen. Das war auch in Katalonien so passiert, als dort im Juni vergangenen Jahres die Rezeptgebühr eingeführt worden war. Daraufhin waren in katalanischen Apotheken etwa 4.000 Formulare pro Monat ausgefüllt worden. Doch in Madrid ist jetzt alles anders.

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In der spanischen Hauptstadt hatte die Aktion „Yo no pago“ zum Jahresende dazu aufgerufen, in jedem Fall und unter allen Umständen so ein Formular zu verlangen und die Rezeptgebühr zu verweigern. Das fand breiten Anklang. Innerhalb einer knappen Woche erklärten sich mehr als 5.000 Apotheken-Besucher zu Härtefällen und füllten schön brav das Formular aus. Das ging so weit, dass den Apotheken schon am 8. Januar die Vordrucke ausgingen, was allerdings kein grosses Problem war, denn „Yo no pago“ hatte eine entsprechende pdf-Datei massenhaft verbreitet und nun drucken sich die Leute ihr Formular eben selbst und nehmen es gleich mit zur Apotheke.

Der Effekt: Die Gesundheitsbehörde der Hauptstadt erstickt in Papier! Jeder einzelne Fall, so war es schliesslich versprochen worden, muss jetzt eingehend geprüft und bearbeitet werden. Bei 5.000 Formularen pro Woche eine schier unlösbare Aufgabe. Ignacio González wollte eine Stadtkasse aufmöbeln durch die Rezeptgebühr (1 Euro pro Rezept). Statt dessen darf seine Administration jetzt 5.000 Formulare pro Woche „eingehend prüfen“. Der Kostenaufwand dafür übersteigt die Einnahmen um ein Vielfaches. Die Aktion „Yo no pago“ grinst sich eins, betrachtet die Operation als vollen Erfolg, und verteilt weiter fleissig gratis-pdf-Dateien im Netz: „Mal sehen, wie lange diese Rezeptgebühr fortgeführt werden kann, bevor in den Büros der Stadtverwaltung gar nichts mehr geht …“

Lesen Sie dazu auch:
* Ziviler Ungehorsam: Steuer-Amnestie, aber für alle – Yo no pago!
* Protest weitet sich aus – Yo no pago
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23 Kommentare zu “Ziviler Ungehorsam per offiziellem Formular sorgt für Bürokratie-Kollaps

  1. Ich überlege gerade, wie man diese Strategie in die portugiesische Registrierkassenvorschrift übernehmen könnte… (http://bit.ly/V1tGuh)

  2. Ramón Rodríguez sagt:

    Right in your face, Ignacio González! Así me gusta! Solche Aktionen sind sicher noch viele möglich und in allen Ländern (ausser in Deutschland vermutlich). Mehr davon! Yo no pago ist sowieso hervorragend!

    • „Yo no pago“ ist eine verbreitete Form in Spanien, die auch für Autobahn-Maud ausgeführt wurde. Hier sind leider die Beteiligten nicht auf der sicheren Seite. Aktionen an den Autobahn-Maud Stellen haben zu strafrechtlichen Verfolgungen geführt. Man hat die Kennzeichen registriert, die sich geweigert haben zu zahlen. Die Aktion im Gesundheitsbereich ist richtig klasse und hat auch in Katalonien geklappt. Angelika
      http://spanienleben.blogspot.com/

  3. Uhupardo sagt:

    „Yo no pago“ freuen sich, dass ihr Echo bis Deutschland reicht.
    Hier: http://www.facebook.com/yonopago
    und hier: https://twitter.com/yo_no_pago

  4. bodenfrost sagt:

    Vielen Dank für diese Beitrag, ich habe ihn mit einem hocherfreuten Lächeln gelesen. Eine Protest-Aktionsform, bei der nun wirklich jeder mitmachen kann, da legal und nicht gefährlich, die doch Wirkung zeigen könnte. Das neue Jahr fängt doch schon mal gut an.

    • Uhupardo sagt:

      „Server fluten“ einmal anders. Sehr gute Aktion. Wir hatten es vor langer Zeit gesagt: Rajoy und seine Kürzungs- und Streichungs-Amigos täuschen sich in ihrem eigenen Land und beweisen, dass sie es nicht kennen. Spanien ist sehr erfindungsreich in solchen Dingen und weiss seit langem, welcher Ast zwischen welche Speichen gehört.

  5. In Deutschland wurde das einfach bestimmt und eingeführt. Nicht bezahlen? Nein, brauchen Sie nicht, dann kaufen Sie das Medikament eben ohne Rezept.
    Das gewollte Paradox: Es gibt Medikamente, die sind billiger ohne Rezept als auf Rezept mit Rezeptgebühr.
    Zahlen muss der Kranke immer. 😦

    • Volksverdummung sagt:

      Hallo Solveigh Calderin,

      Du schreibst: „Es gibt Medikamente, die sind billiger ohne Rezept als auf Rezept mit Rezeptgebühr…“

      Ohne „illustrierende“ Erläuterung ist das schwer nachzuvollziehen (bzw. glaubhaft). Wäre wirklich nett, wenn Du Deine Behauptung durch ein -nicht fiktives- Beispiel erhärten könntest.
      .
      HESSE
      .

      • Ganz einfaches Beispiel: Schmerztabletten und Medikamente gegen Erkältungen. Nur davon kann ich aus Erfahrung sprechen.
        Aber hier findest Du es ausführlicher:

        Durch das GKV-Modernisierungsgesetz, das zum 1. Januar 2004 in Kraft trat, wurde die Rezeptgebühr auf 10 Prozent des Arzneimittelabgabepreises festgelegt und somit für viele Medikamente erhöht. Die Rezeptgebühr ist aber auf mindestens 5 Euro und maximal 10 Euro begrenzt. Kostet ein Medikament beispielsweise 150 Euro, so wären 10 Prozent 15 Euro. Dennoch beträgt die Zuzahlung nur 10 Euro. Kostet ein Medikament 12,50 Euro, so wären 10 Prozent 1,25 Euro. Dann beträgt die Zuzahlung 5 Euro.
        Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Rezeptgeb%C3%BChr

        Ach ja, diese Gebühr fällt für JEDES EINZELNE Medikament auf dem Rezept an.
        Hast Du also irgend ein Medikament, dass billiger als 5 Euro ist…

        • fischi sagt:

          Bloß den größten Beschiss im Gesundheitswesen hat man doch geschaffen in dem man die 40€ Jahressteuer abgeschafft und dafür die Zuschüsse um Millarden gekürzt hat.
          Das war nach meiner Meinung schon mal ein Anfang vom Ende des staatlichen Gesundheitssystems.

  6. holzbock sagt:

    Teure Medikamente, Rezeptgebühr, und noch ein Beispiel. Es geht nicht um die Gesundheit der Menschen, sondern ums Geld verdienen. Ein ätzendes Beispiel: In Südafrika haben sie ein großes AIDS- Problem. Um dieses in den Griff zu bekommen hat Südafrika angefangen ein Medikament selber herzustellen. Von den USA wurde diese Praxis untersagt, weil es auf dem Medikament ein Patent gibt. Nun kann sich ein großteil der Betroffenen dieses Medikament aber nicht leisten, das wird billigend in kauf genommen. Das Medikament wurde ebend zum Geld verdienen entwickelt, und nicht um den Betroffenen Patienten zu helfen!

  7. aus Madrid sagt:

    „Yo no pago“ – eine sehr gute Schmerztablette : )

  8. […] viaZiviler Ungehorsam per offiziellem Formular sorgt für Bürokratie-Kollaps « uhupardo. […]

  9. Heute soll alles – vom kleinsten Atom über Moleküle und Gene, zu den Pflanzen, Tieren und Menschen bis zur letzten staatlichen Behörde und nicht zuletzt den Staaten selbst – als Unternehmen existieren – und sollen nur einen einzigen Daseinszweck erfüllen: Profite bringen!

    Darum die Konzentration der Macht – ähnlich den globalen Konzernen – auch in den Staaten! Die Europäische Union ist ein solches Konstrukt – der Konzern Europa, der auch noch mit dem Konzern USA verbunden wird! Nichts weiter!

    Nur danach werden diese Unternehmen, die gar keine sein können, bewertet!
    Alles, was keinen Profit bringt, wird abgewickelt, abgeschafft, liquidiert!

    Das ist jedoch nicht nur krank und dem Wesen des Menschen diametral entgegengesetzt, es ist vor allem Verbrechen in sich.

    Ein Zitat von P.J. Dunning (1860), das Karl Marx in einer Fußnote im „Kapital“ bekannt machte:
    „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinen Profit, wie die Natur von der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv und waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“

    Das gehört einfach nur, aber grundsätzlich und unwiederbringlich abgeschafft!
    Denn, wenn wir als Menschheit überleben wollen, müssen wir diese durch und durch verbrecherische, räuberische und massen- und völkermörderische Wirtschafts- und Gesellschftsform abschaffen. Wir haben gar keine andere Wahl!

  10. Uhupardo sagt:

    Anhand dieses relativ simplen Beispiels von organisiertem Protest zeigt sich, wie viel Stammtischnörgelei in Deutschland steckt und wie wenig Initiative: Wenn man sich das riesige Geschrei anschaut, das derzeit wegen der GEZ-Gebühren gemacht wird, wo bleibt denn die Aktion?

    Ohne überhaupt beurteilen zu wollen, ob oder in inwieweit das Geheule über die Gebühren berechtigt ist oder nicht, aber wenn schon, denn schon.

    Überall Geheule – und dann? Dabei wäre es so einfach, eine „Yo no pago“-Aktion zu organisieren. Nicht zahlen und Ratenzahlung beantragen. Erst nach der ersten Mahnung zahlen. In Teilbeträgen zahlen, ohne Kundennummer … die Möglichkeiten, daraus einen riesigen bürokratischen Aufwand zu machen, wären mannigfaltig. Was passiert? Wütende Blogs, tausende grimmiger Kommentare und das war´s dann auch schon. Konsequenz: keine.

    • fischi sagt:

      Na gut, aber das ganze ist doch bloß eine Kampange der Blödzeitung.
      Diesen Verbrecher Döpfner wirds freuen wenn verschiedene Blogs darüber diskutieren

  11. […] Nichts geht mehr: Die Flut an Eingaben sorgt für bürokratischen Kollaps! Auch so kann man die Staatsapparat lahm legen – indem man ihm seine eigenen Formulare zu Tausenden in die Büros schick…  […]

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