Regierung verbietet den Gebrauch des Wortes „Zwangsräumung“

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Es ist derzeit nicht einfach zu entscheiden, über welchen Skandal in Spanien man (zuerst) berichten soll. Nach unserer Auffassung zeigt aber gerade diese Meldung besonders deutlich, wie infam die Regierung mit den Menschen umgeht, auch wenn es im Grunde „nur“ um den Gebrauch eines einzelnen Wortes geht. Das Wort „Zwangsräumung“ (desahucios) soll vermieden und „durch weniger drastische Ausdrücke“ ersetzt werden, lautet eine schriftliche Dienstanweisung der konservativen Regierungspartei.

Dolores de Cospedal ist die Ministerpräsidentin von Castilla-La Mancha und ein politisches Schwergewicht innerhalb von Rajoys Partido Popular. Ihre Regierung schickte soeben ein Schreiben an alle Delegationen des (Bundes)Landes, in dem befohlen wird, den Terminus „Zwangsräumung“ in allen Schreiben zu vermeiden, die an diejenigen Familien geschickt werden, die eine Sozialwohnung erhalten hatten und nun eben das zu erwarten haben: ein Zwangsräumungsverfahren.

Die Dienstanweisung bezieht sich auf das „soziale Unbehagen“, das in der vergangenen Woche durch die Nachricht ausgelöst worden war, dass 200 Familien ihre Sozialwohnungen in Castilla-La Mancha verlieren sollen. Diese Meldung sei „dementiert oder näher erklärt“ worden, heisst es, „was uns dazu veranlasst, den Gebrauch von Wörtern wie ´Zwangsräumung´ oder ´Verlust der Wohnung´ vermeiden zu müssen“.

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Der Ausdruck Neusprech (englisch: Newspeak, in älteren Versionen als Neusprache übersetzt) stammt aus dem Roman 1984 von George Orwell und bezeichnet eine Sprache, die aus politischen Gründen künstlich modifiziert wurde.

Kurz darauf antwortete die Vereinigung der Hypothekengeschädigten (PAH) der Ministerpräsidentin per Twitter und erklärte, das Verbot, ein bestimmtes Wort zu benutzen, verändere nicht die Realität: „Nennen Sie es Zwangsräumung oder Verbrechen!“

Die Dienstanweisung befiehlt, die verbotenen Ausdrücke müssten „durch weniger schwerwiegende“ verklausuliert werden und macht Vorschläge wie „die Nichtzahlung wird alle Folgen nach sich ziehen, die im Gesetz vorgeschrieben sind“. Und wörtlich heisst es in dem amtlichen Schreiben in Grossbuchstaben, damit es auch jeder begreift: „Es ist jeder Bezug auf Zwangsräumung, Rauswurf aus der Wohnung zu vermeiden!“ – Alle entsprechenden Formulare seien dahingehend sofort zu ändern.

Die Erklärung der Behörde für diese Dienstanweisung im Nachhinein: Man habe ja vorerst gar keine Absicht, Zwangsräumungen durchzuführen, wozu also Bürger beunruhigen.

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28 Kommentare zu “Regierung verbietet den Gebrauch des Wortes „Zwangsräumung“

  1. Ramón Rodríguez sagt:

    George Orwell würde sich im Grab umdrehen! Eine Sache ist die vollkommen verfehlte Politik in ganz Europa. Eine ganz andere Sache ist diese komplett skrupellose Unverfrorenheit der spanischen Regierung, diese unfassbare Dämlichkeit dazu. Ich fasse es wirklich kaum noch! Que mierda de gente!

  2. Ellen sagt:

    Kann es sein, dass im spanischen „Mini-Wahr“ oder meinethalben auch „Mini-Lieb“ das zu Tausenden geäußerte „soziale Unbehagen“ langsam zu Fracksausen führt?
    Angesichts der Massenproteste müsste doch eigentlich klar sein, dass semantische Korrekturen keinerlei Sinn machen…

    • Genau DAS waren meine Gedanken!

    • hanny sagt:

      das bringt doch alles nichts,die Regierung sollte den Menschen die Wohnungen lassen und der König sollte keine Elefanten mehr erschiessen sonder sich mehr um sein Volk kümmer oder sein Sohn, man kann doch nicht das Volk verandwortlich machen wenn die Bänker das Geld verzocken, da fehlt der klare Menschenverstand, so zu sparen bringt nur Schulde !!!!

  3. Steuben1978 sagt:

    Geil! Das hätte selbst die DDR nicht besser hingekriegt! Kopf—->Tisch

    Würde mich nicht wundern wenn Mutti dazu nicht ein paar Tips auf Lager hätte! Als ehem. FDJ Sekretärin für Agitation und Propaganda könnte sie da sich behilflich sein! XD

    • Frieda sagt:

      Noch geiler: Die Nationale Armutskonferenz erstellt in Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden und dem DGB eine Liste „Sozialer Unwörter“
      http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/02/26/armutskonferenz-die-worte-arbeitslos-und-alleinerziehend-sind-zu-verbieten/
      die künftig verboten, bzw. verniedlicht werden sollen.
      Jetzt fehlt nur noch, daß Neusprech an den Schulen als Pflichtfach eingeführt wird.
      lg Frieda

    • Ich habe mich lange gefragt, warum ausgerechnet das Merkel Kanzlerin wurde, denn dass ein Kalkül dahinter steckt, war mir klar, nur nicht, welches.

      Kommentare wie der Ihre belehrten mich: Mit dieser Figur – und anderen DDR-Wendehälsen, besser -Verrätern – kann die DDR selbst heute noch, nach über zwanzig Jahren, so wundervoll diffamiert und kriminalisiert werden – völlig undifferenziert, natürlich, denn schließlich war die DDR ja schlimmer als das, was wir jetzt haben, ergo ist der jetzige Zustand völlig alternativlos! Oder wie war das mit dem Vergleich DDR – Hitlerfaschismus? Höre ich auch immer wieder – und es ist genau so falsch und verlogen!

      Bravo! Die Herrschaften haben saubere Arbeit geleistet!

      • Uhupardo sagt:

        “ denn schließlich war die DDR ja schlimmer als das, was wir jetzt haben“

        Ja, so ist das.

        „ergo ist der jetzige Zustand völlig alternativlos“

        Nein, ist er nicht. Deswegen reden wir drüber, weil wir können.

        • Ich wusste, dass Sie genau so kommentieren würden.
          Es stimmt trotzdem nicht.

          • Uhupardo sagt:

            Wenn Sie dahingehend so sicher sind, kann der Wunsch „Baut die Mauer wieder auf“ ja nicht mehr lange auf sich warten lassen.

            • Die wurde – wie sie wohl wissen – vom Westen her notwendig gemacht. Für Sie sicherlich auch nur „nicht wahr“ und „Propaganda“, oder täusche ich mich da?

              Wahrheit über die Hintergründe des DDR-Mauerbaus bis zum Ausbluten der Völker heute

              Dieses Muster des Ausraubens anderer Länder kann auch heute beobachtet werden – und den Opfern wird dann die Schuld für die notwendigen Konsequenzen dafür eingeredet und aus Recht wird Unrecht gemacht, aus Schutz des eigenen Landes wird Verrat am „eigenen Volk“ gemacht, aus Verbrechen wird „humanitäre Hilfe“… Sie kennen die gesamte Palette der Lügen, Verdrehungen und Diffamierungen.

              • Steuben1978 sagt:

                Ich bin in der DDR geboren und durfte 12 Jahre meines Lebens in diesem Scheissstaat verbringen! Wenn die DDR ein so überlegenes Wirtschaftssystem gehabt hätte, wäre sie wohl kaum zusammengebrochen! Wenn man die Kreativität der Menschen erstickt und (teilweise sinnlose) Arbeit zum Kult erhebt, muss man sich nicht wundern, dass die Menschen irgendwann die Schauze voll haben. Den Schiessbefehl an der Mauer wollen sie wohl am Ende auch noch rechtfertigen? Wie ideologisch verblendet muss man sein?

                • Bonsta sagt:

                  Wenn 1978 dein Geburtsdatum ist, haut da was nicht hin. Ist mir nur aufgefallen, weil ich tatsächlich 12 Jahre in diesem Scheissstaat verbrachte 😉

              • Uhupardo sagt:

                Gegen hermetisch geschlossene Weltbilder hilft nichts. Da wir das wissen, bleibt der Link unkommentiert.

      • Was heißt hier Verräter? Schauen Sie einmal in die Mitarbeiterlisten des Verfassungsschutzes der Bundesländer. Stasi ohne Ende. Die räumen seit Jahren das System von innen auf.
        Gehen Sie mal in die Archive, sofern Sie Zugang erhalten und durchstöbern Sie die Akten. Bespitzelung in ungeahnten Ausmaß, Mauer, Selbstschussanlagen, politische Gefängnisse sprechen eine ausgiebige Sprache, Tote. Grenzsoldaten die auf Landsleute schiessen, weil sie das Land verlassen wollen. Da kann man einfach die Fakten stehen lassen und braucht nichts diffamieren oder kriminalisieren.
        Die DDR war sicher nicht in allen Belangen schlecht, immerhin haben wir unsere Uniformen der Bundeswehr aus dem Osten erhalten.
        Der jetzige Zustand ist nicht alternativlos.
        Das Problem ist, wie man an dem Artikel erkennen kann, dass man sich nicht vorwärtsbewegt, sondern in alte Zeiten zurückfällt. Egal welches politische Systeme man hierfür hernehmen will. Nationalsozialismus, Faschismus, real-existierender Sozialsimus, Kommunismus etc. Man kann diesbezüglich die „Ismen“ beliebig tauschen. Man will in die Köpfe der Menschen eindringen. Ihnen vorgeben, was sie zu denken und zu sagen haben. Das ist politische Propaganda.

  4. fischi sagt:

    Kasperletheater!
    Die Tat bleibt doch die gleiche, egal wie es genannt werden soll.
    Daß die Neoliberalen die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen beweisen sie immer wieder.

  5. fakeraol sagt:

    Ich hätte da noch ein paar Vorschläge für Rajoy:
    Polizeigewalt, Korruption, Lobbyismus, Gerechtigkeit, Menschenrechte

    Elba wäre zu schade, Robben Island wäre ein guter Platz für diese Brut, da können sie sich mit Landwirtschaft selbst ernähren und sind damit so beschäftigt, daß sie niemandem mehr schaden können.

  6. […] viaRegierung verbietet den Gebrauch des Wortes “Zwangsräumung” « uhupardo. […]

  7. WsdV sagt:

    Es wird anscheinend immer mehr und zwanghafter versucht am altbewährten festzuhalten, indem man dieses Neusprech anwendet. Slogans, Werbebotschaften, die die Bevölkerung nicht glaubt.

    Es ist doch wie mit dem Fracking, dies wird nicht positiver, wenn man es anders nennt oder mit beschönigenden Umschreibungen den Bürger hinters Licht zu führen versucht.

    Die Regierungen haben an dem Tag verloren, an dem Parteien und Akteure versuchten etwas neues darzustellen, was sie nicht sind. Am besten man steht für alles oder nichts, anders gesagt, Merkel.

    Der Wolf im Schafspelz. Hat er sich mal gezeigt, ist er enttarnt. Behauptet er, er wäre ein Schaf, glaubt man ihn nicht mehr. Und bevor wir uns unsere Länder weiter verseuchen sollten, wir über eine Änderung des Systems, der Denkweise nachdenken.

    Ich hoffe das Beste.

  8. El Cuervo sagt:

    Nun, ein Haufen Sche… bleibt ein Haufen Sche…, und wenn er noch so hüsch dekoriert wird, gibt er sein wahres Ich durch seinen Gestank immer preis. Sie können es nennen wie sie wollen, solange sich der Zustand nicht positiv ändert wird auch der Widerstand nicht weniger, sondern immer weiter anschwellen. Solange nicht die Kommunikation innerhalb der Bevölkerung unterdrückt wird, wird es nur ein Mittel geben um den Widerstand und Protest zu unterbinden. Und dieses Mittel kann nur sein, endlich auch auf die Belange der Betroffenen einzugehen und diesen, gemäss der Aufgabe einer gewählten Regierung nach zu kommen.

  9. batanio sagt:

    Naja… In Deutschland werden genauso Armutsberichte geschönt bevor sie an die Öffentlichkeit gehen! Manchmal bekommen wir davon was mit.. aber ich will nicht wissen was wir alles wissen müssten!

    Armes Deutschland, armes Spanien, armes Europa… wo ist es noch anders?

    MfG batanio

  10. Katalunien sagt:

    Worte verbieten . . . . man verbietet Worte, man verbietet Bücher und Kunstwerke ( und fackelt Sie ab ) . . . also da muss Ich doch mal zitieren..( bevor das auch noch verboten wird ). Ich kann gar nicht so schnell fressen, wie ich kotzen moechte (Max Liebermann). Bevor Liebermann auch noch verboten wird.

  11. schabe sagt:

    estimado uhupardo,
    warum schreibst du in der überschrift „verbieten“, und drunter: der ausdruck soll vermieden werden, oder durch weniger drastische ersetzt werden….es sei eine dienstanweisung. sonst bist du doch sehr korrekt? das kommt nicht gut. finde ich. saludos

    • Uhupardo sagt:

      Einfach genauer lesen, dann kommt das gleich besser.

      „warum schreibst du in der überschrift “verbieten”, und drunter: der ausdruck soll vermieden werden, oder durch weniger drastische ersetzt werden…“

      Das „oder“ haben Sie erfunden, im Artikel gibt es das nicht. Wörtlich heisst es da:

      Das Wort “Zwangsräumung” (desahucios) soll vermieden und “durch weniger drastische Ausdrücke” ersetzt werden, lautet eine schriftliche Dienstanweisung der konservativen Regierungspartei.

      Das lässt keinen Raum für Zweifel.

      Weiter unten im Artikel heisst es: „ein Schreiben an alle Delegationen des (Bundes)Landes, in dem befohlen wird, den Terminus “Zwangsräumung” in allen Schreiben zu vermeiden,“

      Kann man ebenso schwer missverstehen.

      Die Überschrift ist richtig und fasst den Sachverhalt genau zusammen..

  12. Bonsta sagt:

    Neusprech.org ist ein sehr empfehlenswerter Blog. Übrigens auch die Vorträge von Martin Haase bei den Piraten.

  13. […] El día de Valladolid (2) taz (3) Uhupardo (4) Tagesschau (5) […]

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